Es war eines der interessantesten Diagramme des Wahlabends: Je 23 Prozent der Erstwähler haben sich für Grüne und FDP entschieden. Die GroKo-Parteien schafften diesen Wert gerade mal gemeinsam. Bei den Grünen hatte man das als Sprachrohr der jungen Klimabewegung erwartet, die FDP wurde dagegen in den sozialen Netzwerken mit Spott bedacht. Tenor: Anscheinend seien die Jungwähler alles Einkommensmillionäre. Unsinn!
Die politische Kluft verläuft längst nicht mehr nur zwischen Links und Rechts, sondern auch zwischen Alt und Jung. Das betrifft klassische Politikfelder wie Rente, Wohnen und Umwelt, aber zunehmend auch einen rasant wachsenden Bereich, der im Wahlkampf gar keine Rolle spielte: Digitalisierung. In der Politik erschöpft sich das Thema auch 2021 noch viel zu oft in Fragen nach Breitbandausbau und Mobilfunk. Derweil revolutionierten US-Unternehmen wie Google, Amazon und Facebook das analoge Leben – auch durch Nutzung von Daten und künstlicher Intelligenz. Die Lebensrealität der Jungen, die 24 Stunden am Tag online sind, ist da viel weiter als die politische Diskussion. Ein banales Beispiel: Während Parteien, Gewerkschaften und Gerichte noch über vier verkaufsoffene Sonntage im Jahr streiten, fahren die Jungen bis Mitternacht online bestellte Lebensmittel aus.
Diese neue Welt verschafft unserer Gesellschaft große Chancen, aber auch Probleme. Von den großen Parteien, selbst ihrem Nachwuchs, kommt hier zu wenig. Die JUler traten im Wahlkampf eigentlich nur als Vorsänger bei Laschet-Auftritten in Erscheinung. Natürlich haben auch FDP und Grüne nicht überall Lösungen. Aber sie scheinen wenigstens die Themen der Zukunft erkannt zu haben.
Mike.Schier@ovb.net