München/Berlin – Robert Habeck hat sich „kurz reingedrängt“. Eigentlich war der Parteichef vor der ersten Sitzung der neuen Grünen-Fraktion gar nicht als Ansprechpartner für die Presse vorgesehen. Doch Habeck muss eine Personaldebatte einfangen, die sich zu verselbstständigen droht. Zum jetzigen Zeitpunkt sei die Frage, wer von den Grünen den Vizekanzlerposten übernehmen werde, „völlig irrelevant“, beteuert der 52-Jährige. „Wir haben ja nicht mal einen Kanzler.“ Und überhaupt: „Selbstverständlich“ entscheide am Ende die Partei über Inhalt und Personal – „das gesamte Tableau“ – auf einem Parteitag oder per Mitgliederbefragung.
Es ist vieles in Bewegung in Berlin. Erste Treffen der neuen Fraktionen, erste Gespräche über mögliche Koalitionen. Da kann es schon mal etwas durcheinander gehen. Dass bei den Grünen die Personalien zuerst in die Öffentlichkeit kamen, hat parteiintern viele verärgert (siehe Text unten), zunächst einmal solle über Inhalte gesprochen werden. „Vorsondierungen“ heißt das neuerdings. Praktisch die Vorstufe der Vorstufe zu Koalitionsverhandlungen. Heute treffen sich die grünen Vorsitzenden Habeck und Annalena Baerbock mit Parteichef Christian Lindner und Generalsekretär Volker Wissing von der FDP. Dem Vernehmen nach soll es auch noch in dieser Woche Gespräche mit der SPD geben. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte, dieses Vorgehen sei nachvollziehbar. „Der erste Auftrag zur Bildung einer Regierung ist an die SPD gegangen.“
Den Anfang der Gespräche bestreiten aber die beiden kleinen Partner, die letztlich die Frage „Jamaika“ oder „Ampel“ entscheiden könnten. Wohl eine der Lehren aus dem späten Scheitern der Jamaika-Gespräche 2017. Die inhaltlichen Streitpunkte sind bekannt, es geht darum, frühzeitig Kompromisslinien auszuloten.
Doch hinter den Kulissen geht es natürlich auch schon um Posten – man muss ja vorbereitet sein. Bei beiden kleineren Parteien sind die Vorsitzenden natürlich gesetzt. Allerdings schielen sowohl Habeck als auch Lindner auf das Finanzressort. Die Grünen hätten als größere Partei zwar das erste Zugriffsrecht, allerdings könnte die FDP dann auf das Umweltministerium zugreifen – das Leib- und Magenressort. Möglich wäre, ein stärkeres Klimaministerium (womöglich mit Vetorecht) zu schaffen, in dem ein Vizekanzler Habeck dann grüne Inhalte forcieren könnte. Das aber dürfte sich erst während der Koalitionsverhandlungen klären – mit welchem Kanzlerkandidaten auch immer.
Intern gehen die Grünen von vier möglichen Ministerien aus. Neben Habeck und Baerbock, die immer wieder fürs Außenamt ins Gespräch gebracht wird, darf sich auch Anton Hofreiter aus dem Landkreis München beste Chancen ausrichten. Selbst viele Realos erkennen an, dass der Vertreter des linken Flügels sich im Wahlkampf vorbildlich ruhig verhalten hatte, um Wähler der Mitte nicht zu verschrecken. Hofreiter sei gesetzt, heißt es in der Fraktion. Als vierter Kandidat wird der ehemalige Vorsitzende Cem Özdemir genannt, der sich gestern schon mal selbst für die Verhandlungen ins Gespräch brachte: „Ich habe Sondierungen und Verhandlungen 2017 schon mal geführt, ich kenne mich also ganz gut aus“, sagte er „t-online“. Mit 40 Prozent war Özdemir der erfolgreichste Direktkandidat der Grünen. Problem: Bei diesem Tableau wären drei Realos und drei Männer im Kabinett – für die auf Parität bedachte Partei kommt das nicht infrage.
Bei der FDP gilt neben Lindner Generalsekretär Wissing als möglicher Minister als gesetzt. Zudem fällt der Name der hessischen Landesvorsitzenden Bettina Stark-Watzinger. Fraktionschef könnte der Parlamentarische Geschäftsführer Marco Buschmann werden. Ob es so kommt, ist offen. Um es mit Habeck zu sagen: „Wir haben ja nicht mal einen Kanzler.“