Stoiber und das Geheimnis des riesigen Aktenkoffers

von Redaktion

Für ein ungewöhnliches Buch erzählen Gefährten und Gegner Anekdoten über den früheren CSU-Chef

Ausgerechnet der Asket und Aktenfresser hat ein bisher gut gehütetes Geheimnis: ein Schokolade-Versteck für schlechte Zeiten. Im Handschuhfach seiner gepanzerten Dienstlimousine ließ Edmund Stoiber immer als Notration zehn Tafeln Schokolade mitführen. Und wenn der Terminkalender wieder übervoll war, das Mittag- und Abendessen gestrichen wurden, um die Verspätungen aufzuholen, dann griff er zu.

Gelüftet hat das Geheimnis nun Klaus Schmidbauer, über zwei Jahrzehnte sein Cheffahrer. Und dazu die Anekdote erzählt, wie er und die Leibwächter in der Not mal die Vorräte komplett wegmampften, als sie eines Abends stundenlang auf das Ende einer Stoiber-Besprechung mit Franz Josef Strauß warten mussten. Sofort am nächsten Morgen wolle man die Tafeln heimlich wieder ersetzen – aber auf ausgerechnet dieser Rückfahrt griff Stoiber ins Handschuhfach, tastete irritiert darin herum, leer. Stoiber schimpfte nicht, berichtet Schmidbauer, sondern bat am nächsten Morgen seine Frau Karin, den Mitarbeitern auch ein paar Extra-Tafeln einzupacken.

Die Geschichte ist Teil eines besonderen Buchprojekts. Zu Stoibers 80. gestern hat die Buchheim-Stiftung viele Wegbegleiter um zwei, drei Seiten persönliche Beiträge und Würdigungen gebeten. Kein Buch zum Kaufen, nur ein Geschenk, und ein recht besonderes. Zwei Bundeskanzler (Schröder, Merkel) haben Beiträge geliefert, ein Dutzend Minister, ein paar der größten politischen Gegner, aber eben auch der Cheffahrer, der Büroleiter, der Amtschef. Kein Wunder, zusammengetragen hat das Werk Walter Schön, einst Bayerns oberster Beamter in der Staatskanzlei. Schön, jetzt Vorstandsvorsitzender der Buchheim-Stiftung, überreicht das Werk in wenigen Tagen an Stoiber.

Nur selten knirscht es trocken im Buch. Merkel zum Beispiel zeigt eindrucksvoll, wie langweilig, lustlos und blutleer so ein Geburtstagsgruß sein kann. Besser, Welten besser sogar: Karl-Heinz Rummenigge, als er den glühenden FC-Bayern-Fan Stoiber im Stadion nachzeichnet, wie ihm Uli Hoeneß quer über die Tribüne zuruft: „Edmund, beruhig dich! Wir werden schon noch gewinnen!“

Oder Büroleiter Klaus Weigert und seine Schilderung der heftigen Kämpfe, wie viele Aktentaschen Stoiber jeden Freitag zum Abarbeiten übers Wochenende ins Auto gepackt wurden (bis zu sechs). Dass man schließlich in einem Fachgeschäft den wohl größten Aktenkoffer der Welt („ein wahres Ungetüm, dem Werkzeugkoffer eines Flugzeugmonteurs nicht unähnlich“) gefunden habe. „Stoiber las sie alle“, schreibt Weigert über die Akten. Oder Horst Seehofers Beitrag, wie fassungslos er als Nachfolger war, als seine Beamten seine Limousine 2008 freitags ähnlich vollladen wollten: „Ich dachte, ich wollte ein wohlverdientes Wochenende antreten.“ Die Tradition des wöchentlichen Aktentransfers habe er, so schreibt Seehofer heiter, „nicht fortgeführt“.

Oder sogar Renate Schmidt, die SPD-Gegnerin, die humorvoll beschreibt, wie sie 1994 nicht Ministerpräsidentin und Stoiber 2002 nicht Bundeskanzler wurde.

Ja, wer die 319 Seiten liest, betitelt als „Kaleidoskop“, bekommt das Bild eines obsessiven Politikers, gleichzeitig Visionär und Arbeitstier. „Stoiber hat Akten gefressen“, schreibt sein langjähriger Pressesprecher Rainer Haselbeck, „aber nicht aus Selbstzweck oder Hunger, sondern aus Verantwortung.“ Der aktuelle Termin war immer der wichtigste, kein Thema zu klein. Haselbeck schildert im Buch, wie der Ministerpräsident 2005 ein Gespräch mit dem bayerischen Bauernverband hatte. Ein Mitarbeiter flüsterte ihm die Weltsensation ins Ohr, soeben sei der bayerische Papst Benedikt gewählt worden. „Stoiber meinte zunächst, man solle ihn jetzt nicht stören, er sei gerade dabei, den Bauernverband zu überzeugen.“

CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

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