Tausende Flüchtlinge an der Grenze

von Redaktion

VON DORIS HEIMANN UND MICHAEL WINDE

Hajnowka – Zwei schwarze Rucksäcke, ein nasser Schlafsack, ein Paar aufgeweichte Turnschuhe. Im dichten Wald nahe einer Landstraße bei Hajnowka im äußersten Osten Polens liegen die Überbleibsel auf Moos und herbstlichen Blättern. „Vermutlich war es ein hektischer Aufbruch – wer weiß, wo diese Menschen jetzt sind“, sagt Maria Zlonkiewicz. Die 36-jährige Menschenrechtlerin kramt in einem der Rucksäcke: Medikamente aus dem Irak und der Türkei, ein Handy-Ladegerät, Kekse und Rheumapflaster mit russischen und belarussischen Aufschriften. Es sind Spuren von Migranten aus dem Nahen Osten. Tausende von ihnen versuchen derzeit, über Belarus illegal in die EU einzureisen. Viele wollen weiter nach Deutschland und andere westliche Länder.

Polen setzt auf Härte: In der Region um die EU-Außengrenze gilt der Ausnahmezustand, Hilfsorganisationen und Journalisten dürfen nicht hinein, die meisten Migranten werden abgewiesen. Die Regierung in Warschau beschuldigt den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, die Flüchtlinge organisiert an die EU-Außengrenze zu schaffen – als Reaktion auf verschärfte westliche Sanktionen gegen sein Land. In dem einsamen, sumpfigen Grenzgebiet sind in den vergangenen Wochen bereits mehrere Migranten gestorben. Es könnten noch mehr Tote werden, wenn die Nachtfröste einsetzen, fürchtet Maria Zlonkiewicz. „Wir appellieren an die polnische Regierung, Ärzte und Sanitäter an die Grenze zu lassen. Sonst werden wir im Frühjahr viele Leichen finden.“ Zlonkiewicz vertritt das Aktionsbündnis „Gruppe Grenze“, zu dem sich polnische Flüchtlingshelfer zusammengetan haben. Die Aktivisten gehen durch die Wälder. Sie versuchen, Migranten aufzuspüren, ihnen Nahrungsmittel, warme Kleidung und Rettungsdecken zu geben. Etwa 50 Menschen konnten sie bislang helfen.

Den Kontakt zu den Helfern finden die Flüchtlinge über soziale Medien. „Wir sind auf Internetforen präsent, wo für die vermeintlich sichere Passage über Belarus geworben wird“, sagt Aktivistin Aleksandra Gulinska (34). Mehrfach am Tag und in der Nacht würden sich mittlerweile umherirrende Flüchtlingsgruppen melden.

4000 Grenzschützer, 2500 Soldaten und 600 Polizisten sind an Polens 418 Kilometer langer Grenze zu Belarus im Einsatz. In den Wäldern um Hajnowka gibt es Kontrollpunkte – nicht nur am Beginn der Sperrzone, auch auf Landstraßen und Forstwegen. Die Lage an der Grenze sei ernst, sagt Innenminister Mariusz Kaminski. Der Ausnahmezustand soll um weitere 60 Tage verlängert werden.

In Brüssel blickt man mit Sorge auf die angespannte Lage an der Grenze. Auf der einen Seite sieht EU-Innenkommissarin Ylva Johansson einen „Akt der Aggression“ des belarussischen Machthabers, der die EU destabilisieren wolle. Zugleich sagt die Schwedin: „Es ist völlig inakzeptabel, dass Menschen an unseren Außengrenzen sterben.“ Sie fordert Transparenz von Warschau. Polen müsse die EU-Außengrenzen schützen – zugleich müsse es sich aber an EU-Recht halten. Darüber würde sie gerne mit dem polnischen Innenminister Kaminski sprechen.

Doch die Zusammenarbeit zwischen Polen und der EU läuft schlecht. Um die Lage besser einschätzen zu können, sähe Brüssel gerne die EU-Grenzschutztruppe Frontex an der Grenze. Ein Einsatz müsste von Polens Regierung angefordert werden – und die denkt bislang gar nicht daran. Zudem bemühte sich Johanssons Team tagelang vergeblich um ein Gespräch zwischen Kaminski und der EU-Kommissarin. Morgen will sie nun nach Warschau reisen. „Ich möchte gerne mehr darüber wissen, was passiert ist“, sagt Johansson.

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