Jetzt wird es ernst mit der Ampel

von Redaktion

VON MARCUS MÄCKLER

München – Mit der Fantasie ist es so eine Sache: Manche haben gar keine, mit anderen geht sie durch. Christian Lindner scheint sich bisweilen beiden Zuständen anzunähern. Die Gespräche mit SPD und Grünen hätten „den Möglichkeitsraum erweitert und neue politische Fantasie möglich gemacht“, sagt der FDP-Chef am Freitag. Es ist derselbe Mann, dem vor der Wahl jede Fantasie für die Ampel fehlte.

Wenn es einen Wackel-Faktor in den Sondierungen gab, dann die FDP, die inhaltlich und kulturell einiges von Rot-Grün trennt. Doch die Skepsis scheint passé. Auffällig ist, wie wortreich gerade Lindner die Gespräche lobt. Er spricht von einem neuen Stil, der „eine Zäsur in der politischen Kultur“ sei. Von der Möglichkeit, „das Land zusammenzuführen“. Lange habe es „keine vergleichbare Chance gegeben, Gesellschaft, Wirtschaft und Staat zu modernisieren“.

Vier Stunden lang saßen die Sondierer am Freitagmorgen zusammen, zuvor gingen die Gespräche bis weit in die Nacht hinein. Der lange Atem hat sich gelohnt. SPD, Grüne und FDP wollen nun vertieft sprechen und über eine Koalition verhandeln. Die Ampel, sie ist inzwischen weit mehr als eine vage Fantasie.

Dass es so kommen würde, hatte sich abgezeichnet. Offenbar stimmten die Atmosphäre und der Wille zur Einigung; auch die Vereinbarung, Inhalte bis zuletzt geheim zu halten, hielt. Erst kurz vor dem gemeinsamen Auftritt am Freitag wird ein Papier mit den Ergebnissen der Gespräche öffentlich. Man habe „nicht im Sinne von Sieg und Niederlage sondiert“, sagt Grünen-Chef Robert Habeck dazu. Es sei ein Geben und ein Nehmen gewesen.

Wer mehr gegeben, wer mehr genommen hat, ist eine andere Frage. Klar scheint: Die Liberalen haben sich für die Bereitschaft zu Koalitionsgesprächen einiges herausverhandelt. Die Schuldenbremse soll unangetastet bleiben, die von SPD und Grünen geforderte Vermögenssteuer ist vom Tisch – so wie Steuererhöhungen überhaupt. Auch die Aktienrente, ein FDP-Lieblingsprojekt, soll als ergänzender Teil der Altersvorsorge kommen. Die SPD bekommt ihren Mindestlohn von zwölf Euro. Die Grünen immerhin die Zusage, ein Klima-Sofortprogramm aufzusetzen und erneuerbare Energien stark auszubauen. Zum früheren Kohleausstieg liest sich die Formulierung „idealerweise bis 2030“ allerdings einigermaßen vage.

Bei den Grünen ist denn auch ein gewisser Schmerz spürbar. Kein Tempolimit, keine Steuer-Entlastung für Geringverdiener. Habeck sagt: „Das ist halt der Preis, den wir zahlen, weil die FDP sich an der Stelle durchgesetzt hat.“

Dennoch: Unzufriedenheit ist auf keiner Seite zu spüren. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz spricht von einer „sehr guten Einigung“ und einem Aufbruch, der möglich sei. „Es wird das größte industrielle Modernisierungsprojekt, das Deutschland wahrscheinlich seit über 100 Jahren durchgeführt hat“, sagt er. Grünen-Chefin Annalena Baerbock sieht ein „Jahrzehnt des Fortschritts“ bevorstehen. Habeck lobt, dass es gelungen sei, genug Investitionen in Klimaschutz oder Digitalisierung aufzubringen, ohne die Bürger stärker zu belasten. Eine Antwort darauf, wie genau das gehen soll, bleiben die Parteichefs und der Kanzlerkandidat allerdings schuldig.

Die Union, quasi am Ende der Jamaika-Träume, übt am Freitag Kritik. Fraktionschef Ralph Brinkhaus nennt das Sondierungspapier einen „ungedeckten Scheck auf die Zukunft“. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt raunt: „Das ist keine Grundlage für eine Fortschrittskoalition, sondern für Linksträumereien.“ Der eigentlich Unions-nahe Lindner findet trotzdem, ein Ampel-Bündnis könne „größer werden als nur die Summe seiner Teile“.

Bevor es weitergeht, müssen die Parteigremien Koalitionsgesprächen zustimmen. Am Montag soll das abgeschlossen sein, dann wollen die Partner nach Möglichkeit bald mit Koalitionsverhandlungen beginnen. Noch seien nicht alle Hürden aus dem Weg geräumt, sagt Baerbock. Aber zuvor, meint Habeck, erst mal „ausschlafen“.

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