Grüne wollen Ampel-Verhandlungen

von Redaktion

VON F. ABBAS, M. HERZOG UND M. MÄCKLER

Berlin – Auch bei den herzlichen Grünen kann es manchmal recht einsam sein. Als Cansin Köktürk ihre Rede beendet hat, gibt es einen Applaus von kühler Höflichkeit. Sie selbst dürfte das kaum wundern. Sie gehört zu den wenigen Spielverderbern des Tages. Ihr fehle der Plan gegen Armut, sagt die Bochumerin und nennt den Verzicht auf die Vermögenssteuer einen „fundamentalen Fehler“ der möglichen Koalitionäre. Bei diesem Sondierungspapier habe sie „das Gefühl, dass die FDP die Bundestagswahl gewonnen hat“.

Es sind schonungslos klare Worte, die so gar nicht zur Grund-Euphorie der Grünen passen wollen. Auf dem kleinen Parteitag in Berlin stimmt eine große Mehrheit der Delegierten für Koalitionsverhandlungen über eine Ampel-Regierung. Nachdem der SPD-Vorstand schon am Freitag grünes Licht gegeben hatte, kommt es nun nur noch auf die Liberalen an. Sie entscheiden heute.

Es ist vor allem Parteichef Robert Habeck, der die Delegierten auf eine Regierungsbeteiligung einschwört. „Wir werden Treiberin großer Transformationsaufgaben sein“, sagt er vor der Abstimmung. Die Partei stehe kurz davor, zum zweiten Mal Teil einer Bundesregierung zu werden. „Es ist tatsächlich so, dass wir gerade ein Stück weit grüne Geschichte schreiben.“ Habeck spricht vom Machtwillen der Grünen nach Jahren der Opposition. Die Partei müsse nun beweisen, dass sie reif dafür sei, Regierungsverantwortung zu übernehmen. „Wir kommen aus der Defensive in die Gestaltung, in die Offensive.“

Statt grobe Kritik zu üben, weisen mehrere Delegierte darauf hin, in Koalitionsverhandlungen nicht nachzulassen. Wichtige Details seien noch zu klären. So müsse deutlich werden, woher „die 500 Milliarden Euro für ein Investitions-Jahrzehnt“ kommen sollen, betont die Hamburgerin Anja Hajduk. Der Kieler Delegierte Lasse Petersdotter lobt die Einigung auf 12 Euro Mindestlohn als „Revolution“, warnt aber auch, die Vorhaben zum Klimaschutz müssten in den Verhandlungen noch konkreter und ambitionierter werden. Die Grünen müssten aufpassen, „dass die FDP nicht Grenzen zieht, während wir Hoffnungen beschreiben“.

Grünen-Chefin Annalena Baerbock erhält besonders für die im Sondierungspapier festgehaltenen Klimaschutz-Vorhaben Applaus. Hier sei wahnsinnig viel erreicht worden zur Einhaltung des Pariser 1,5-Grad-Ziels, sagt sie. In den Verhandlungen stehe aber noch einiges an Arbeit bevor. „Es wird immer wieder dazu kommen, dass wir auch bis in die Nacht heftig ringen“. Auch auf die Rente kommt sie zu sprechen. Da könne man nicht die nächsten Jahre so „dahinwurschteln“. „Wir wollen einen echten Aufbruch schaffen, auch für zukünftige Generationen.“ In den Sondierungen haben sich die Parteien auf den Einstieg in eine Aktienrente geeinigt – die FDP hat sich hier durchgesetzt.

Auch FDP-Chef Christian Lindner wirbt am Sonntag für Koalitionsverhandlungen. Schon nach Abschluss der Sondierungen am Freitag schwärmte er von den Chancen einer Ampel-Regierung. So ganz harmonisch bleibt das Wochenende aber nicht. Obwohl sich die Verhandler vorgenommen haben, Personalfragen zurückzustellen, werben einzelne Politiker von Grünen und FDP dafür, das Finanzressort besetzen zu dürfen – wahlweise mit Habeck oder Lindner.

Habeck reagiert darauf am Sonntagabend. Personalspekulationen seien derzeit „nicht hilfreich“. Man erhöhe so im Zweifelsfall nur die eigene Fallhöhe. Kurz danach spricht sich auch Lindner gegen Personaldebatten aus, treibt aber gleichzeitig die Diskussion um die Ressortverteilung voran: „Es gibt das Bundeskanzleramt, es gibt das Finanzministerium, es gibt ein neues Klimaministerium“, sagt er. „Und ich bin der Meinung, jeder der Partner muss eine Möglichkeit haben, auch gestalterisch zu wirken.“ Ein Klimaministerium hatten die Grünen gefordert. Dass das aber schon unter den möglichen Koalitionspartnern vereinbart worden wäre, das war öffentlich noch nicht zu vernehmen.

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