Ampel startet nur als Zweckbündnis

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER UND CARSTEN HOFFMANN

Berlin – Falls Christian Lindner sich freut, lässt er es sich kaum anmerken. Ernst steht er vor den Kameras in Berlin, kein Spaß, kaum ein Lächeln. Der FDP-Chef berichtet von „sehr intensiven“ Gesprächen seiner Gremien, er erzählt, in der sich anbahnenden Ampel gebe es „unverändert große inhaltliche Unterschiede“. Die Koalition werde wohl nur als „ein Zweckbündnis“ beginnen.

Und das soll dieser Zauber sein, der jedem Anfang innewohnt? Nüchtern, demonstrativ geschäftsmäßig macht Lindner den Weg für die Ampel-Verhandlungen frei. Zu 100 Prozent haben die Mitglieder seiner Fraktion und seines Parteivorstands zwar zugestimmt, doch erkennbar bleiben Vorbehalte, auch wegen des bisherigen Sondierungspapiers. Intern wird zum Beispiel über die zwölf Euro Mindestlohn gemurrt, die die SPD in den Entwurf verhandelte – das mag sich außerhalb Bayerns in strukturschwächeren Gebieten recht hoch anhören. Auch gibt es Stirnrunzeln angesichts erster Personal- und Ministeriumsdebatten. Und nicht zuletzt verstörte SPD-Chef Norbert Walter-Borjans die Sondierer mit dem unabgesprochenen Vorstoß, die Erbschaftsteuer vielleicht doch zu erhöhen.

Nicht an der Steuerschraube zu drehen, keine neuen Substanz-Steuern, das ist ein Teil der bisher absehbaren Kompromisse, der der FDP sehr wichtig ist. Vor allem mit Blick über die aktuelle Regierungsbildung hinaus. Lindners Auftritt vor der Presse am Montagnachmittag macht nämlich sehr deutlich, dass er eine weitreichende Agenda hat, die FDP als neue bürgerliche Kraft zu positionieren, die Union in der Opposition praktisch auszutrocknen. Er kleidet das in sehr freundliche, aber deutliche Worte: Eine „Regierung der Mitte“ müsse diese Ampel sein, „dafür ist die FDP der Garant“. Im Land gebe es keine Mehrheit für einen Linksruck. Lindner sagt sogar: „Ausdrücklich wollen wir die Interessen der Wähler der Unionsparteien im Blick behalten.“

Mit so viel Fürsorge haben sie bei CDU und CSU wohl nicht gerechnet. Dazu passt aus Lindners Sicht, wie die Union in den Umfragen immer weiter absackt, trotz angekündigter Armin-Laschet-Abdankung, und die FDP steigt. Jüngste Insa-Zahlen (für „Bild“) sehen die SPD bei 28 Prozent, die Union bei verheerenden 18,5, dicht dahinter Grüne (16), FDP (15), später AfD (11,5) und Linke (5 Prozent).

Lindners Weg, sich in der Koalition als bürgerlicher Anker zu profilieren, dürfte über das Finanzministerium führen. Vor der Wahl hatte er schon mehrfach Interesse an diesem Amt signalisiert. Das gilt noch immer – allerdings drohen da Reibereien in der Koalition, denn auch Grünen-Chef Robert Habeck hat in diese Richtung Ambitionen.

Am Montag bemüht sich Lindner, diesen Konflikt vorerst zu dämpfen. Dass er am Wochenende sogar öffentlich angekündigt hatte, es werde ein „Klimaministerium“ geben (was sehr danach klang: für die Grünen), das nennt er nun ganz demütig „ein Versehen“. Offiziell stehen Verhandlungen über Ministerien und Minister-Jobs erst ganz am Ende aller Koalitionsverhandlungen. Auch eine weitere Frage übrigens, der Lindner am Montag auszuweichen versucht: Ob das neue Kabinett paritätisch Mann/Frau besetzt wird oder nicht.

In den nächsten Tagen werden sich nun erneut die Parteimanager, die Generalsekretäre, zusammenschließen. Es gibt viel vorzubereiten, vor allem, wenn es um die thematischen Arbeitsgruppen geht, in denen in den kommenden Wochen um die Details des Koalitionsvertrags gerungen wird. Denn in ihrem Bilanzpapier hatten SPD, Grüne und FDP nur grundsätzliche Linien festgelegt und einige Streitpunkte abgeräumt: kein Tempolimit, keine zusätzlichen Steuern etwa.

Am Donnerstag oder Freitag könnte es losgehen mit den Verhandlungen. Welche Arbeitsgruppen man für die Koalitionsverhandlungen genau bildet, kann ein Vorzeichen für mögliche spätere Ministerien sein – muss es aber nicht.

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