Berlin – Im Wahlkampf haben CDU und CSU das Thema bewusst links liegen gelassen. Auch bei SPD, Grünen und FDP standen Asyl und Migration zuletzt nicht im Fokus. Das ändert sich gerade. Denn die seit August stetig wachsende Zahl von Asylbewerbern, die über Polen nach Deutschland kommen, zwingt zum Handeln. Auch wenn in Berlin zurzeit eine Bundesregierung die Geschäfte führt, die jetzt keine politischen Weichenstellungen mehr vornehmen soll.
Der SPD-Innenpolitiker Uli Grötsch sieht die Verantwortung dennoch bei der Regierung, vor allem bei Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). „Das ist eine Frage, bei der exekutives Handeln gefragt ist, im Bundesinnenministerium. Außerdem haben wir eine handlungsfähige Bundespolizei“, sagt der Bundestagsabgeordnete. Von stationären Kontrollen an der Grenze zu Polen hält er nichts.
Von den irregulär eingereisten Menschen, die im Osten Deutschlands jetzt täglich aufgegriffen werden, ist zuvor kaum jemand in Polen registriert worden. Anders als während der Flüchtlingskrise in den Jahren 2015 und 2016 haben die Asylbewerber oft einen Pass dabei – mit einem Einreisestempel aus Belarus.
Denn bei der Einreise in die Europäische Union hat ihnen der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko geholfen. Er setzt Migranten und Flüchtlinge als Druckmittel gegen die Europäische Union ein, weil westliche Länder Sanktionen gegen sein Regime verhängt haben – wegen der umstrittenen Präsidentschaftswahl vom August 2020 und des harten Vorgehens gegen die Opposition.
Jeden Tag landeten in Minsk und auf Provinzflughäfen in Belarus etwa 500 Menschen aus Armutsregionen und Krisengebieten, berichtet ein Regierungsbeamter. Mit dem Irak habe Deutschland nun eine Vereinbarung treffen können, um Direktflüge der staatlichen Fluggesellschaft nach Belarus zu stoppen, teilte die Bundesregierung mit. Routen über mehrere andere Staaten sind aber noch offen. Zudem besteht in Berlin die Befürchtung, Lukaschenko könne künftig auch für Abflüge ab Pakistan die Einreise nach Belarus ohne Visum anbieten.
Einmal in Belarus angekommen, werden die vor allem aus Afghanistan, Pakistan, dem Irak, Syrien oder dem Iran stammenden Menschen in der Regel mit staatlicher Unterstützung zur polnischen Grenze gebracht. Ein nicht unerheblicher Teil von ihnen hat, aufgrund der Situation im Herkunftsland, gute Chancen, einen Schutzstatus zu erhalten.
„Wenn der europäische Außengrenzschutz versagt, müssen wir unsere nationalen Grenzen schützen“, sagt Thorsten Frei (CDU), Fraktionsvize der Union.
Bundesinnenminister Seehofer hat seine Fachleute und Behördenleiter vergangene Woche aufgefordert, Vorschläge zu erarbeiten, wie man die Situation in den Griff bekommen könnte. Die Bundespolizei und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schickten bereits mehr Beamte nach Brandenburg, um die Registrierung der Neuankömmlinge in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu beschleunigen. Über weitere Maßnahmen will der CSU-Politiker am Mittwoch mit seinen Kabinettskollegen beraten.