München – Im Wahlkampf hatte Außenpolitik lange nur eine Nebenrolle gespielt. Auch die Sondierungen von SPD, FDP und Grünen waren von Klima- und Finanzfragen geprägt. Nun lenkt Annalena Baerbock mit einem Interview in den Funke-Zeitungen den Fokus wieder ein wenig mehr auf außenpolitische Themen – und damit auf die Frage, wer in einer möglichen Ampel-Regierung dafür zuständig sein wird.
Die Grünen-Co-Chefin sprach sich am Mittwoch gegen eine Inbetriebnahme der Erdgaspipeline Nord Stream 2 aus, solange nicht alle rechtlichen Voraussetzungen erfüllt seien. Man dürfe sich da nicht erpressen lassen. Russland warf sie vor, die Gaslieferungen herunterzufahren, um die Inbetriebnahme zu erzwingen. Auch gegen das Nato-Ziel, zwei Prozent des Bundeshaushaltes für Verteidigung auszugeben, sprach sie sich aus. Baerbocks kritische Haltung zur Pipeline und zum Zwei-Prozent-Ziel waren zwar bekannt. Und auch Habeck äußerte sich kürzlich schon ähnlich zu Nord Stream 2. Baerbocks Wortmeldung lässt dennoch aufhorchen. Schließlich gilt sie als Kandidatin für das Außenministerium.
Für das Amt war die 42-Jährige schon früher im Gespräch. Dann definierten sich die personellen Ziele der Grünen neu. Baerbock sollte Kanzlerin werden und ihr Co-Vorsitzender Robert Habeck einen für die Grünen relevanten Ministerposten übernehmen: Umwelt, Klimaschutz oder auch Finanzen. Doch spätestens Baerbocks unpräzise Angaben zu Lebenslauf und Einkünften beendeten den Traum vom Kanzleramt. Mit dem Einstieg in die Ampel-Verhandlungen müssen die Grünen nun als zweitstärkste Kraft zwei gewichtige Ministerposten für ihr Spitzenduo heraushandeln.
Oft genug hatte die Grünen-Co-Chefin ihre Leidenschaft für internationale Themen betont, gerne auch mal, um sich von Habeck abzuheben. Dessen Hintergrund sei „Hühner, Schweine, Kühe melken“, sie selber „komme eher vom Völkerrecht her“, sagte sie 2020 neben Habeck sitzend in eine Fernsehkamera. Ein Studium in Völkerrecht schloss Baerbock in London mit einem Master ab. Zwar zog sie in der Vergangenheit auch Kritik auf sich, etwa 2018 in der Frage von deutschen U-Boot-Lieferungen an Israel. Detailkenntnis in außenpolitischen Fragen attestieren ihr aber auch politische Konkurrenten. Im Bundestag sitzt sie seit 2013 im Ausschuss für EU-Angelegenheiten. In den Jamaika-Sondierungen 2017 war sie für das Thema Europa zuständig.
Mit einigen außenpolitischen Positionen steht Baerbock nicht völlig im Kontrast zu einem möglichen Kanzler Olaf Scholz (SPD). Ein Bekenntnis zur Nato ist für die transatlantisch denkende Baerbock selbstverständlich. Dass sie dennoch das Zwei-Prozent-Ziel kritisch sieht, dürfte Scholz nicht stören. Als Finanzminister verfolgte er es selbst nicht allzu ambitioniert. Uneins sind sich Scholz und Baerbock zu Nord Stream 2, allgemein in der Haltung gegenüber Russland und China. Scholz steht eher für diplomatische Töne als für klarere Kante, die Baerbock und auch die FDP in Demokratie- und Menschenrechtsfragen fordern.
Das Außenressort ist nicht Baerbocks einzige Option auf ein Ministeramt. Auch für ein Klimaministerium wird sie gehandelt. In einem solchem Ministerium – dessen Zuständigkeiten und Machtfülle erst noch definiert werden müssten – will FDP-Chef Christian Lindner aber lieber Habeck sehen. Ihm werden Ambitionen auf das Finanzministerium nachgesagt, das allerdings auch Lindner für sich beansprucht.
STEFAN REICH