München – Ein klein wenig ist es wie zu Schulzeiten, ohne Mäppchen und Ranzen zwar, aber mit ähnlich viel Knatsch und Rauferei. In Berlin streiten gerade zwei Fraktionen darum, wer bis 2025 neben dem Klassenrüpel – der AfD – sitzen muss. Auf der einen Seite ist da die FDP, die meint, vier Jahre Sitz-Nachbarschaft zur Rechtspartei seien wirklich genug. Auf der anderen Seite steht die Union, die bisher in der Mitte Platz nimmt und keinen Grund sieht, mit den Liberalen zu tauschen.
Die Sache ist so verzwickt wie ernst. Denn letztlich geht es um mehr als ein liberales Naserümpfen. Neben der Frage des Nachbarn spielt auch die politische Verortung eine Rolle. „Wir sehen uns als liberale Partei der Mitte“, sagt Bayerns FDP-Chef, der Bundestagsabgeordnete Daniel Föst. „Deshalb ist es folgerichtig, dass wir auch dort sitzen.“
Der Kampf um die Mitte im Plenum ist nicht neu. Als die AfD 2017 erstmals in den Bundestag kam und die FDP nach vier APO-Jahren wieder einzog, stellte sich die Frage schon einmal. Die FDP leistete damals heftigen Widerstand, ihr Wunsch, nicht neben der AfD zu sitzen, soll sogar Thema der letztlich gescheiterten Jamaika-Verhandlungen gewesen sein. Die Union ließ aber nicht mit sich reden. Das Kernargument: Die Liberalen hätten immer schon rechts von CDU und CSU gesessen.
So sieht es die Union bis heute. Es gebe keinen schlüssigen Grund, die Sitzordnung zu ändern, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Union, Stefan Müller, am Dienstag. Die Sitzordnung sei schließlich „kein Karussell, das nach Belieben herumgedreht werden sollte“. Die Liberalen aber haben die neue Sitzordnung schon beantragt und hoffen, dass sie diesmal Erfolg haben.
„Seit vier Jahren müssen wir die Pöbeleien und das unterirdische Gequatsche der AfD ertragen“, sagt Föst. Vor allem weibliche Abgeordnete müssten sich regelmäßig Geschmacklosigkeiten anhören. Im Parlamentsalltag hat das zu einem interessanten Effekt geführt: „Unsere Reihen füllen sich immer von links, wo die Union sitzt, nach rechts, wo die AfD sitzt“, sagt Föst. „Wer nicht schnell genug ist, hat verloren.“
Dass die Sitzordnung auch den politischen Standpunkt widerspiegelt, geht bis auf die ersten Parlamente nach der Französischen Revolution zurück. Ab 1814 bildete sich in der Deputiertenkammer die Unterscheidung von rechts und links heraus, wobei rechts vom Präsidenten der von Bewahrergeist gerührte Adel saß und links der dritte Stand, der die Dinge verändern wollte. Die Ordnung im Bundestag orientiert sich daran. Dort sitzen bislang, vom Rednerpult aus gesehen: ganz links die Linkspartei, dann die SPD, Grüne, Union, FDP und – ganz rechts – die AfD.
Werden Union und Liberale also bald die Plätze tauschen? Das ist gut möglich. Sollte es keine einvernehmliche Lösung geben, wonach es aussieht, dann entscheidet der Ältestenrat über die Sache. Er spiegelt die Mehrheitsverhältnisse im Parlament wider. Sollten SPD und Grüne ihre Ampel-Partner unterstützen, müsste die Union wohl umziehen. Föst nennt es „sinnvoll, dass Regierungspartner nebeneinander sitzen“.
So oder so: Einmal werden alle Fraktionen noch auf ihren alten Sitzen Platz nehmen, mindestens. Wenn am Dienstag erstmals der neue Bundestag zusammenkommt, gilt die alte Sitzordnung. MARCUS MÄCKLER