Berlin/München – Es soll Koalitionen geben in dieser Republik, die keine Beschlüsse fassen. In diesem Fall ist es umgekehrt: Da legt eine Koalition, die noch gar nicht existiert, schon ihre erste Einigung auf den Tisch. „Die Ampel funktioniert, bevor es sie gibt“, frohlockt die grüne Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Mit den Kollegen von SPD und FDP sitzt sie am Mittwochmorgen in der Bundespressekonferenz und legt das Konzept für den Weg durch den Winter vor. Wie viel Corona-Maßnahmen dürfen und müssen noch sein?
Es ist ein drängendes Thema, für das die drei Parteien nicht einfach die Regierungsbildung irgendwann im Dezember abwarten können. Am 25. November läuft der Ausnahmezustand aus, der als Grundlage für alle Corona-Maßnahmen hergehalten hat, die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“. Den umstrittenen Passus fortzuführen, erschien vielen Abgeordneten als zu hart – das wäre auch die formale Rechtsgrundlage für Lockdowns und Ausgangssperren. Ganz darauf zu verzichten, hieße aber wohl, dass Maskenpflicht und Abstandsgebot mit auslaufen.
„Die Situation ist nach wie vor problematisch“, sagt Göring-Eckardt. Selbst FDP-Unterhändler Marco Buschmann, einer der führenden Köpfe der künftigen Koalition, sagt einen Winter mit „steigenden Infektionszahlen“ voraus. Die Lösung, die mindestens SPD, Grüne und FDP in Kürze durch den Bundestag bringen wollen: eine Übergangsregelung, streng befristet bis Frühlingsbeginn am 20. März 2022.
Auf zwei Seiten haben die Unterhändler zusammengetippt, was es im Winter braucht. Die Maskenpflicht darf weiter angeordnet werden, ebenso ein Abstandsgebot. Die Differenzierung zwischen Geimpften, Genesenen oder nur Getesteten darf bleiben, bekannt unter den Kürzeln „2G“, „3G“ oder „3Gplus“. Hygienekonzepte und Teilnehmer-Limits sind weiterhin erlaubt, ebenso Auflagen für Schulen. Das deutlich verlängerte Kinderkrankentage-Geld bleibt. Ebenso dürfen Chefs (im Ampel-Deutsch steht da tatsächlich „Arbeitgebende“) in manchen Branchen weiterhin den Impfstatus erfragen. Das trifft Schulen, Kitas und Heime.
Das heißt im Umkehrschluss: kein Lockdown mehr, keine Kontaktsperren. „Was wir nicht mehr vorsehen, ist eine Pflicht zum Homeoffice“, ergänzt Göring-Eckardt. „Das ist aktuell nicht mehr notwendig“, dank Impf-Fortschritt. Auch der Rest werde definitiv wegfallen, legt sich der Liberale Buschmann fest. Am 20. März erfolge „das absolute Ende aller Maßnahmen“.
Reicht das nun? Zumindest in der Union gibt es Skepsis, gerade, weil das Kleingedruckte offen ist. Vorerst hat sich die Ampel ja nur auf Eckpunkte geeinigt. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lässt ein Sprecher mitteilen, sie sehe die aktuelle Entwicklung der Pandemie „mit Sorge“. Viele Schutzmaßnahmen sollten als Möglichkeit erhalten bleiben. Das klingt wolkig, heißt aber wohl: Merkel hätte gern den vollen Instrumentenkasten behalten. Ein Lockdown für Ungeimpfte zum Beispiel, wie ihn Österreich als letzten Schritt vorbehält, wäre dann hierzulande nicht mehr drin.
Auch aus München kommt Skepsis. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) stellt am Abend zwar klar: „Wir werden keinen Lockdown mehr machen.“ Aber Gesundheitsminister Klaus Holetschek, der derzeit die Kollegen der Länder koordiniert, kritisiert den Ampel-Plan. „Der Winter kommt. Die Infektionszahlen steigen. Die Pandemie bleibt unberechenbar“, sagt er auf Nachfrage. Die Länder bräuchten „größtmögliche Flexibilität“, die Landtage dürften nicht in ihren Rechten beschnitten werden. Holetschek fordert unter anderem einen Mechanismus für Ausgleichszahlungen an Kliniken und die Steuerfreiheit von Zuschlägen für Pflegekräfte. „Die Ampel-Koalitionäre müssen nachlegen.“