Ischinger: Nicht wieder ein Typ wie Trump

von Redaktion

Der Siko-Chef sieht die neue Bundesregierung in der Pflicht, eine Führungsrolle einzunehmen

München – Wo war eigentlich die Außenpolitik? Im Wahlkampf völlig vernachlässigt, wird sie die neue Bundesregierung umso mehr beschäftigen. Davon ist der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, überzeugt. Eine der zentralen Aufgaben der neuen Regierung sei es, die EU zu stärken, sagte der 75-Jährige am Mittwoch im Münchner Presseclub: „Die Erwartungen des Auslands an deutsche Führungskraft sind riesengroß.“

Ischinger kritisierte vor allem die „Verliebtheit der Deutschen in den internationalen Status quo“ als Fehler. Die Welt ändere sich rasant, das müsse Berlin anerkennen und entsprechend handeln. Ein Schwerpunkt: eine gemeinsame europäische Verteidigung. Der Rückzug der USA als Schutzmacht mache das nötig. Um wirklich voranzukommen, müsse man vorerst auf eine kleine Gruppe williger EU-Staaten setzen. „Dass wir das könnten, steht für mich außer Frage.“

Alte Gewissheiten zerfallen, das ist offensichtlich. Die Zugewandtheit Washingtons etwa ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Für die Zukunft Deutschlands und Europas ist es aus Ischingers Sicht deshalb „extrem wichtig, dass 2024 nicht wieder so ein Typ wie Donald Trump ins Weiße Haus einzieht“. Das zu vermeiden, müsse „das erste Ziel deutscher Außenpolitik“ sein. Ein wirksames Mittel sei der sichtbare Wille, den USA Lasten abzunehmen – etwa in der Nato.

Der ehemalige Botschafter in den USA und in Großbritannien mahnte zudem, eine klare Position gegenüber China zu finden. Gerade Deutschland und Frankreich müssten hier mit einer Stimme sprechen. Zudem warnte er vor einer Diskussion über die in Deutschland stationierten US-Nuklearwaffen. „Würden wir aus der nuklearen Teilhabe aussteigen, sage ich ein großes außenpolitisches Desaster voraus.“ Die Irritationen in Polen und Frankreich wären wohl gewaltig. Die Äußerung ist kein Zufall, derzeit liegt das Thema offenbar auf dem Tisch der Ampel-Verhandler. Nicht alle stehen hinter dem Abschreckungs-Konzept der Nato.

Vor dem Hintergrund polnischer EU-Kapriolen und Drohungen aus der Türkei äußerte sich Ischinger auch zum Umgang mit autoritären Staatslenkern – und riet zu mehr Gelassenheit. Die Erdogans und Orbáns hätten „keinen Ewigkeitswert“, sagte er. „Irgendwann wird es einen anderen türkischen Präsidenten geben.“ Die „große Sanktionskeule“ nutze ohnehin nichts, sondern führe in Ländern wie Polen oder Ungarn allenfalls zu einer Wagenburgmentalität. Besser sei jene „strategische Geduld“, mit der etwa Angela Merkel einen wie Erdogan noch immer „wieder auf den Teppich zurückgeholt“ habe.

Erst am Dienstag war bekannt geworden, dass die Sicherheitskonferenz nach einem Jahr Corona-Pause im Februar nächsten Jahres wieder als Präsenzveranstaltung stattfinden kann. Ischinger hofft auf die Teilnahme vieler Mitglieder der neuen Bundesregierung. Auch das Ausland sei sehr gespannt. M. MÄCKLER

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