Vieles, was da aus Brasilien zu hören ist, klingt vertraut. Ein skrupelloser Präsident, eine ignorante Corona-Politik, die hunderttausende Opfer fordert, mangelnder Respekt vor demokratischen Institutionen, Verstrickungen von Verwandten, schließlich staatliche Ermittlungen – all das erinnert frappierend an die Trump-Jahre, die zweite große Politik-Seifenoper unserer Zeit.
Auf 1200 Seiten sind die Versäumnisse und Verfehlungen Jair Bolsonaros seit Beginn der Pandemie nun aufgelistet. Nicht alles ist neu. Dass er das Virus selbst dann noch verharmloste, als er seine Wirkung am eigenen Leib zu spüren bekam, ist ebenso bekannt wie sein Hang zu steilen medizinischen Thesen, die jeden Fachmann entsetzen. Es ist die Summe der Ergebnisse, die Substanz der Ermittlungen, die beeindruckt.
Juristisch muss das noch nicht zwingend etwas bedeuten. Der brasilianische Staatschef hat an entscheidenden Stellen Helfer, in diesem Fall den Generalstaatsanwalt. Die wahre Bedeutung des Berichts liegt vielmehr darin, dass all die Vorwürfe, die Bolsonaro gerne als Hexenjagd und Rachefeldzug abtut, nun dokumentiert und belegt sind. Wenn nächstes Jahr ein neuer Präsident gewählt wird, wird die Akte erst die volle Sprengkraft entfalten. Das sollte auch Bolsonaro, der Kritiker und politische Rivalen so gerne seine Geringschätzung spüren lässt, beunruhigen. Es ist nur sein Amt, das ihn schützt.
Marc.Beyer@ovb.net