„Die konservativen Kreise sind gespalten“

von Redaktion

Politikwissenschaftler: Richtungsstreit der NRW-CDU prägt Rennen um den Parteivorsitz

München – Die CDU sucht einen Nachfolger für Armin Laschet an der Parteispitze. Der Politikwissenschaftler Norbert Kersting von der Universität Münster (NRW) erklärt im Gespräch mit unserer Zeitung, warum derzeit nur Bewerber aus Nordrhein-Westfalen im Rennen sind.

CDU-Chef Armin Laschet und alle gehandelten Kandidaten für seine Nachfolge sind Katholiken aus NRW. Warum?

Die CDU hat ihren Schwerpunkt historisch in katholischen Regionen, in NRW etwa in Ostwestfalen, der Eifel oder dem Münsterland. Hier holte sie bei Wahlen teils über 70 Prozent. Das verleiht natürlich Gewicht.

Das sind eher konservative Regionen. Bezieht Friedrich Merz daher seine Ansicht, die CDU-Basis verlange nach einem konservativeren Kurs?

Unter Angela Merkel wurde kein Nachfolger aufgebaut, potenzielle Kandidaten wie Roland Koch aus Hessen wurden kleingehalten. So entstand ein Vakuum, in das der mit Abstand stärkste Landesverband hineindrängte. Die NRW-CDU stellt 131 000 der insgesamt 400 000 Parteimitglieder. Aber auch in diesem Landesverband gibt es einen Richtungsstreit. Die konservativen Kreise etwa im Münsterland sind gespalten, sie stehen dabei nicht unbedingt besonders nah bei Friedrich Merz. Sie sehen in ihm den Wirtschaftsliberalen, nicht den Vertreter des für die Region so bedeutenden Mittelstands. Norbert Röttgen steht eher für einen Kurs der Mitte. Ihm nimmt man es jedoch übel, dass er als Spitzenkandidat vor der Landtagswahl 2012 nicht zusagte, auch bei einer Niederlage von Berlin nach Düsseldorf zu wechseln.

Wie sieht die CDU-Basis die Aspiranten Jens Spahn, Carsten Linnemann und Ralph Brinkhaus?

Jens Spahn ist durch die Pandemie eher beschädigt. Linnemann steht für einen Neuaufbruch. Brinkhaus hat vor allem den Vorteil, dass er in Berlin bestens vernetzt ist. Schon seine erfolgreiche Kandidatur um den Bundestags-Fraktionsvorsitz überraschte. Er ist vielleicht ein Kompromiss-Kandidat.

Röttgen wirft Merz in einem Richtungsstreit vor, wer einen konservativeren Kurs wolle, hat keine Ahnung von der Basis.

An der These ist schon was dran. Ich glaube nicht, dass die CDU-Wählerschaft derzeit ein klassisch-neoliberales Konzept mit möglichst niedrigen Steuern, wenig staatlicher Daseinsvorsorge und „Sparen, Sparen, Sparen“ begrüßen würde. In der Corona-Krise muss der Staat massiv die Wirtschaft stützen. Es gibt ein Verlangen nach sozialem Ausgleich und Sicherheit, gerade in den christlich geprägten Arbeitnehmerverbänden. Dazu kommt ein Marktversagen bei der Digitalisierung, etwa beim Glasfaser-Ausbau nicht nur auf dem Lande. Es scheint aber bei der CDU einen Widerspruch zwischen Partei-Eliten und Wählerschaft zu geben.

Wie kommen Sie darauf?

Befragungen zeigen etwa, dass 60 Prozent der CDU-Wähler sich ein Ende der Teilung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung vorstellen können. Da ist zu unterscheiden zwischen Wählern und Parteimitgliedern, es gibt aber auch innerhalb der CDU eine große Gruppe, die sich etwa bei der Rente andere Modelle vorstellen kann. Im Wahlkampf ging man diese wichtigen Zukunftsthemen dennoch nicht an.

Ist es sinnvoll, den CDU-Vorsitz per Mitgliederbefragung zu klären?

Es mag aufgrund der vorhandenen Konflikte sogar sein, dass es sich gar nicht anders lösen lässt. Merz glaubt, dass er dann die besseren Karten hat. Das muss sich aber erst zeigen.

Interview: Stefan Reich

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