GEORG ANASTASIADIS
Und schon wieder dreht die SPD ihrer alten Volkspartei-Rivalin CDU eine lange Nase: Schnell und geräuschlos hat sich die Spitze der Genossenpartei anscheinend auf den Niedersachsen Lars Klingbeil als Nachfolger von Kurzzeit-Co-Parteichef Norbert Walter-Borjans verständigt. Der 43-Jährige steht sowohl für den Generationenwechsel als auch für den Brückenschlag zwischen den beiden Lagern innerhalb der SPD. Obwohl selbst Mitglied des konservativen Seeheimer Kreises und Vertrauter des Fast-Kanzlers Olaf Scholz, gilt Klingbeil als bestens verdrahtet mit dem von Kevin Kühnert angeführten linken Parteiflügel. Der Generalsekretär hätte sich, wenn es so kommt, den Aufstieg an die Co-Parteispitze redlich verdient – allein schon für den unerschütterlichen Optimismus, mit dem er vier Jahre lang ungezählte SPD-Wahlniederlagen weglächelte.
Derweil verbucht es die Kanzlerpartei a. D. schon als Erfolg, dass sich die zerstrittenen Gremien wenigstens auf ein Verfahren zur Wahl des künftigen Chefs haben einigen können. Doch ein Kandidat, der über die Integrationskraft und die Autorität verfügt, die in Grüppchen und Untergrüppchen, in Merkelianer, Merzianer und Spahn-Getreue zerfallene Union wieder zusammenzuführen, ist weit und breit nicht in Sicht. Dabei wird die Union als schlagkräftige Opposition dringend gebraucht. Doch zu befürchten ist, dass die CDU in ihrer aktuellen Verfassung noch nicht mal dafür zu gebrauchen ist. Die angehenden Ampel-Koalitionäre werden diesen Umstand gewiss zu nutzen wissen. Deutschland hat, so scheint es, seinen neuen Kanzler gefunden. Aber nicht seinen Oppositionsführer.
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