München – Mitten in den Koalitionsverhandlungen muss die SPD sich mit der Frage des künftigen Parteivorsitzes beschäftigen. Vier Tage nach der Ankündigung des Co-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans, nicht für eine weitere Amtszeit anzutreten, hat das erste prominente Parteimitglied Interesse an dessen Nachfolge andeutet. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, es ehre ihn sehr, dass sein Name für die Aufgabe des SPD-Vorsitzenden genannt werde.
„Der Vorsitz ist ein sehr wichtiges, traditionsträchtiges und reizvolles Amt, in dem man viel bewegen kann“, antwortete Klingbeil auf die Frage, ob es für ihn attraktiver wäre, Parteichef zu werden oder ein Ministeramt zu übernehmen. In vier Jahren als Generalsekretär hat sich Klingbeil in der SPD Respekt verschafft. Martin Schulz hatte ihn im Oktober 2017 für das Amt nominiert. Kurz zuvor hatte Schulz als Spitzenkandidat für die SPD das schlechteste Ergebnis bei einer Bundestagswahl eingefahren und wurde mit einem äußerst schwachen Ergebnis als Vorsitzender wiedergewählt. Auch Klingbeil erhielt nur 70 Prozent der Delegiertenstimmen.
Kurz danach trat Schulz zurück, Klingbeil blieb – auch als Schulz’ Nachfolgerin Andrea Nahles im Juni 2019 nach parteiinternen Attacken abtrat. Er sollte die Neuordnung der Partei organisieren. Am Ende des Prozesses samt Mitgliederentscheid stand die Wahl der Doppelspitze aus Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans – und Klingbeils Wiederwahl als Generalsekretär.
Klingbeil organisierte dann den letztlich erfolgreichen Bundestagswahlkampf 2021. So entschlossen wie äußerlich gelassen, beschwor er die neue Einheit der Partei. Angriffe auf den politischen Gegner fuhr er im Wahlkampf nur dosiert. Parteiintern gilt er als Brückenbauer. Er gehört dem Seeheimer Kreis an, dem konservativen Flügel der Partei. Bis 2015 war er Mitglied der Parlamentarischen Linken in der SPD, von 2003 bis 2007 stellvertretender Juso-Chef.
Aufgewachsen ist Klingbeil als Sohn eines Berufssoldaten in Munster, dem größten Standort der Bundeswehr. Er verweigerte den Wehrdienst, änderte eigenen Aussagen zufolge seine Einstellung zur Bundeswehr, als er die Terroranschläge vom 11. September 2001 als Praktikant in New York erlebte. Klingbeil gilt als möglicher Verteidigungsminister einer Ampelregierung. Das wirft für die SPD und Scholz angesichts des Zeitplans Fragen auf.
Noch bis Ende November sollen die Koalitionsverhandlungen mit Grünen und FDP laufen. Ressort- und Personalfragen will man zum Schluss verhandeln. Über den Koalitionsvertrag soll bei der SPD ein kurzer Sonderparteitag am 4. Dezember abstimmen. In den Tagen danach soll Scholz zum Kanzler gewählt werden. Vom 10. bis 12. Dezember müssen die SPD-Delegierten dann bei einem regulären Parteitag in Berlin die Parteispitze wählen.
Offen ist, ob man erneut vorher die Mitglieder befragt. Das gilt aber als unwahrscheinlich. Noch ist auch unklar, ob es wieder eine Doppelspitze geben soll und ob Esken dafür zur Verfügung stünde. Sie ist ebenfalls als Ministerin im Gespräch. Hält die SPD an der zuletzt praktizierten Trennung von Ämtern in Partei und Bundesregierung fest, käme in dem Fall Manuela Schwesig für Eskens Nachfolge infrage. Die gerade wiedergewählte Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern hat zumindest noch nicht abgewunken. Wie die SPD die Neubesetzung des Vorsitzes organisieren will, wollen Waler-Borjans und Esken am Montag verkünden. S. REICH