München – Nun sollen die Mitglieder entscheiden, wer neuer CDU-Chef wird. Damit geht die Klärung inhaltlicher Fragen aber erst los, sagt die Politikwissenschaftlerin Ursula München. Die Leiterin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing hält einen Prozess für ein neues Grundsatzprogramm für die entscheidende Aufgabe des Laschet-Nachfolgers.
Frau Münch, Sie hatten kürzlich noch vermutet, Friedrich Merz würde nicht der nächste CDU-Vorsitzende. Hat sich diese Einschätzung in den letzten Tagen geändert?
Dass die CDU nun doch die Mitglieder befragt, erhöht seine Chancen wieder, sich gegen Norbert Röttgen durchzusetzen. Auf dieses Duell dürfte es hinauslaufen. Jens Spahn kommt nicht richtig an und Carsten Linnemann scheut wohl das Risiko einer Kandidatur. Ralph Brinkhaus könnte allerdings auch noch eine Rolle spielen.
Gibt es aus Sicht der Partei Argumente für das jetzt gewählte Verfahren?
Man setzt sich jedenfalls nicht noch mal dem Vorwurf aus, die Basis nicht gehört zu haben. Ein Vorsitzender hat dadurch eine stärkere Legitimation. Aber auch die Basis kann sich irren.
In welchen Wählergruppen kann die CDU denn auf Zugewinne hoffen? Und wäre ein Vorsitzender Merz dafür der Richtige?
Die Mitglieder sind nicht deckungsgleich mit der potenziellen Wählerschaft. Die Diagnose von Merz nach der Wahl, man habe schlecht abgeschnitten, weil man Kernwählerschaft und -themen vernachlässigt habe, teile ich nicht. Man hat vor allem – wie übrigens im Ansatz schon 2017 – an SPD und Grüne verloren. Und Merz kommt bei Wählerinnen, die Merkel für die CDU gewinnen konnte, nicht so gut an.
Was klärt sich für die CDU denn überhaupt mit der anstehenden Personalentscheidung?
Der Parteivorsitzende hat natürlich Gewicht. Aber in einer Volkspartei, die die CDU immer noch sein will, müssen viele Strömungen repräsentiert sein. Und schon Annegret Kramp-Karrenbauer wollte ja einen überfälligen Grundsatzprogramm-Prozess einleiten. Dann kam Corona und der nächste Wechsel an der Parteispitze. Dieser Prozess muss Kernaufgabe eines neuen Vorsitzenden sein. Die Partei muss sich über zentrale Fragen streiten.
Welche Fragen sind das?
Früher konnte jedes Mitglied die Position der CDU zur Wehrpflicht oder zur Kernkraft im Schlaf runterbeten. Doch die Welt hat sich verändert. Man ist sich uneins geworden darüber, worin sich die CDU von anderen Parteien unterscheiden sollte – in der Außenpolitik, bei der Rolle Europas in der Welt, bei Familienbildern.
Die CDU wird nun erst im Januar einen neuen Parteivorsitzenden haben. Die CDU-Ministerpräsidenten, die sich im Frühjahr zur Wahl stellen müssen, hatten einen schnelleren Prozess angemahnt. Kann ihnen das lange Verfahren schaden?
Sie hoffen vielleicht auf eine möglichst frühe Zukunftsstimmung aus der Bundespartei durch die neue Person. Aber bei Landtagswahlen spielen in der Regel andere Faktoren eine stärkere Rolle.
Was bedeutet es auf Bundesebene, dass die größte Oppositionspartei mit sich selbst beschäftigt ist, wenn voraussichtlich Anfang Dezember die neue Regierung ihr Amt antritt?
Die Union hat ja eine starke Bundestagsfraktion. Für die Koordinierung der Bundesratsarbeit ist die Parteiführung zwar wichtig. Aber es geht ja nur um ein paar Wochen. Und mit einem neuen Vorsitzenden kann man dann auch wieder etwas Aufmerksamkeit vom frisch gewählten Kanzler abziehen.
Welche Optionen haben die CSU und ihr Vorsitzender Markus Söder jetzt, sich auf Bundesebene zu positionieren?
Die CSU-Landesgruppe ist im Verhältnis zur CDU stärker geworden. Das wird man über ihren Chef Alexander Dobrindt auch spielen. Söder wird aus dem Freistaat zusätzlich die Bundesregierung kritisieren. Das kann in Bayern gut ankommen, wird aber ein Spagat, auch mit Blick auf die Bundesratsarbeit. Man darf sich nicht zu sehr zum Verhinderer einer von der Bevölkerung gewollten Modernisierung machen.
Interview: Stefan Reich