Minsk/Berlin/Moskau – Vor dem Hintergrund der angespannten Flüchtlingssituation an der Grenze zwischen Belarus und Polen hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den russischen Präsidenten Wladimir Putin um Vermittlung gebeten. Die Bundeskanzlerin habe Putin in einem Telefonat gebeten, „auf das Regime in Minsk einzuwirken“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Merkel habe unterstrichen, „dass die Instrumentalisierung von Migranten gegen die Europäische Union durch das belarussische Regime unmenschlich und vollkommen inakzeptabel sei“.
Der russische Präsident habe nach Einschätzung der Bundesregierung „einen nicht unerheblichen Einfluss in Minsk“, sagte Seibert. In schärfstem Ton verurteilte er das Vorgehen der belarussischen Regierung, die Migranten einreisen und an die Grenze zum EU-Mitglied Polen weiterreisen lässt. „Was da von dem Regime in Minsk veranstaltet wird, ist staatlich organisiertes Schleuser- und Schleppertum“, sagte Seibert. „Das Ganze geschieht als hybrider Angriff auf die Europäische Union.“
Am Abend forderte Merkel, man müsse das Flüchtlingsproblem so lösen, „dass es human zugeht“. Das tue es „im Augenblick leider nicht“, ergänzte sie. „Auf der anderen Seite ist es auch wichtig, dass die EU ihre Außengrenzen schützen kann.“
Nach Angaben der Bundespolizei wurden in den ersten neun November-Tagen in Deutschland 1246 „unerlaubte Einreisen mit einem Bezug zu Belarus“ registriert. Von Jahresbeginn bis 9. November summiere sich die Zahl dieser Einreisen auf 9087.
Im Grenzgebiet sitzen derzeit tausende Migranten bei eisigen Temperaturen fest. Zuletzt veröffentlichte der belarussische Grenzschutz Fotos und Videos von verletzten Menschen mit Blut an Händen, Armen und im Gesicht. Überprüfen lassen sich die Aufnahmen kaum. Aber die Staatspropaganda in Minsk nutzt die Bilder menschlichen Leids als Anklage gegen Polen und den Rest der EU. Der Westen, der sonst auf die Einhaltung der Menschenrechte poche, lasse solche Bilder zu.
Viele wollen nach Deutschland. Die belarussischen Behörden werfen den polnischen Grenzschützern seit Tagen Gewalt gegen die Schutzsuchenden vor, die in der Nacht zu Mittwoch in zwei Gruppen Stacheldrahtzäune eingerissen haben sollen, um die Grenze zu überqueren. Die Fotos und Videos zeigen nach Belarus zurückgedrängte Kurden mit Schnittwunden. Die polnischen Behörden nahmen nach eigenen Angaben mehr als 50 Menschen nach dem Grenzübertritt fest und drängten hunderte zurück nach Belarus.
Die EU-Staaten verständigten sich gestern auf ein neues Sanktionsinstrument gegen Fluggesellschaften und andere Beteiligte an illegalen Schleuseraktivitäten. Die Maßnahmen sollen am Montag bei einem Außenministertreffen formell beschlossen werden. Geplant ist unter anderem, Fluggesellschaften ins Visier zu nehmen, die Migranten zur Weiterreise in die EU nach Belarus fliegen. Zudem müssen auch Reiseveranstalter Sanktionen fürchten.
Umstritten war bis zuletzt, inwieweit in der EU ansässige Unternehmen gezwungen werden sollten, mit sofortiger Wirkung sämtliche Geschäftsbeziehungen zu der belarussischen Fluggesellschaft Belavia einzustellen. Dies würde unter anderem zur Folge haben, dass Flugzeugleasinggesellschaften an die Airline ausgeliehene Maschinen zurückfordern müssten. Nach Angaben aus EU-Kreisen hatte Belavia zuletzt deutlich mehr als die Hälfte seiner Flugzeuge nur geleast.