Berlin/München – Es war kein guter Abend für Christian Lindner. Im „Tagesthemen“-Interview vor Millionenpublikum beklagte der FDP-Chef am Freitag „unwirksame Maßnahmen (…), die wir nicht brauchen, um die Pandemie einzuschränken“. Ausdrücklich ging es um Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen. Lindner zitierte angebliche Studien, dass so etwas nicht helfe. Am Samstag meldete er sich wieder zu Wort – und ruderte in wesentlichen Teilen zurück.
„Wenn ich in den Tagesthemen missverständlich war, bedauere ich das“, twitterte der FDP-Chef. „An Kontaktbeschränkungen zweifele ich nicht, sondern nur zum Beispiel an der Verhältnismäßigkeit von Ausgangssperren für Geimpfte.“ Die Differenzierung, die Lindner nachreichte, teilen im Tenor auch Experten, Juristen wie Virologen. Hinzu kommt: In der geplanten Ampel-Koalition gibt es seit dem Wochenende viel Bewegung. Angesichts der extremen Infektionszahlen, höher als in den Wellen eins bis drei, haben SPD, Grüne und selbst FDP Zweifel, ob ihre Pläne für den neuen Rechtsrahmen reichen. An drei Stellen schärfen sie nach.
Die Option von Kontaktbeschränkungen wird wohl wieder in den Katalog aufgenommen, den der Bundestag diese Woche beschließen soll. „Kontaktbeschränkungen sind schmerzliche Einschnitte, das wissen wir alle noch zu gut. Aber angesichts der dramatischen Lage können sie für Ungeimpfte regional nötig werden“, sagt der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck. Dabei soll es Ausnahmen für Kinder geben. Ausgangssperren und Lockdowns werden voraussichtlich ausgeschlossen.
Neu ist auch, den Ländern den Weg zu „2Gplus“ zu ebnen: Dass also nur Geimpfte und Genesene bestimmte Veranstaltungen betreten dürfen, wenn sie zudem einen negativen Schnelltest nachweisen können. Bayerns Staatsregierung will dieses Konzept für Bars und Discos. Hintergedanke ist, dass ja auch Geimpfte infiziert sein und das Virus weitertragen können – seltener, kürzer und schwächer, aber eben doch.
Dritte Neuerung in den Ampel-Plänen ist ein Auskunftsrecht der Arbeitgeber über den Impfstatus. Eine entsprechende Formulierungshilfe aus der Bundesregierung für die Fraktionen liegt unserer Zeitung vor. So soll eine tägliche Testpflicht für Ungeimpfte im Büro kontrolliert werden können. Auch Behörden müssen das nachvollziehen können. Am 19. März müssen alle Daten gelöscht werden. Außerdem werden tägliche Testpflichten in Pflegeheimen eingeführt. Zudem lebt die Home-office-Pflicht wieder auf: Arbeitgeber müssen das zumindest anbieten, „wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen“. Arbeitnehmer müssen das annehmen, wo es ihnen möglich ist. De facto heißt das: Gezwungen wird niemand.
Ist das nun ein Weg, den die Ampel gemeinsam so gehen kann? Innerhalb der Grünen gibt es eigentlich weitergehende Wünsche. So fordern drei Landesgesundheitsminister (aus Hessen, Baden-Württemberg und Brandenburg), stattdessen die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ zu verlängern, also den bisherigen Gesetzesrahmen. Parteichef Habeck will außerdem eine 3G-Regel für den Fernverkehr der Bahn, da liegt er auf Linie mit SPD-Ultra Karl Lauterbach.
Auch bei den Ländern ist die Stimmung sehr unterschiedlich. Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer fordert Kontaktreduzierungen und die Absage möglichst vieler größerer Veranstaltungen wie Weihnachtsmärkte. Die vierte Corona-Welle werde „mehr Opfer, auch mehr Todesopfer, verlangen als alles, was wir bisher kannten“.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) verlangt ebenso Kontaktbeschränkungen für die Ungeimpften. Er verschärft zudem die Maskenpflicht, sie gilt auch da, wo sich nur Geimpfte und Genesene treffen. Söder sieht die ganze Republik vor gefährlichen Wochen und warnt vor einer Eskalation auf den Intensivstationen. „Deutschland ist null winterfest.“ Der CSU-Chef äußerte sich am Sonntagnachmittag in München ungewöhnlich düster, es klang, als bereite er Bayern auf hohe Opferzahlen vor: „Was wir tun können, tun wir. Aber es wird nicht reichen.“
„Es reicht nicht“, sagt Söder düster