Die deutsche Corona-Politik ist in den Modus wechselseitiger, teils schriller Attacken gerutscht. Söder schimpft, die Ampel sei tatenlos; die Ampel schimpft, die Noch-Regierung versage; die bayerische Opposition fragt, wo eigentlich Söder sei und warum er so spät handle. In jedem dieser Vorwürfe steckt ein Stück Wahrheit, denn dieses Ausmaß der vierten Welle, das extreme Durchschlagen auf die Intensivstationen, haben Politik und viele Experten nicht kommen sehen. Die Entscheider kommen nicht mehr hinterher mit den Verschärfungen. Aus ihrem Ton spricht begründete Angst vor den nächsten drei, vier Wochen. Noch sind ein paar Reserven im medizinischen System – kann sein, dass sie nicht mehr reichen.
Die Politik muss nicht mit einer Stimme sprechen, muss nicht kuscheln, aber mit vereinten Kräften handeln. Der Auftakt dazu: raus aus dem Aggro-Polter-Modus. Nebenbei erwähnt: Das gilt auch für manche Branchenverbände, die sich zu sehr als Jammer-Onkel verstehen statt als Hüter der Sicherheit ihrer Gäste und Kunden. Was es nun braucht und was auch verfassungsrechtlich Bestand hat: Erst-Impfkampagnen gerade für sozial schwache Schichten, Booster-Impfungen, klare Regeln und 2G-Konzepte, häufige Tests, die Absage von Riesenveranstaltungen und ein Herunterfahren der Kontakte. Für mehrere dieser Schritte braucht es die Politik übrigens gar nicht, kluge Entscheidungen des Einzelnen – vorsichtig, nicht panisch – können das vorerst überbrücken.
Christian.Deutschlaender@ovb.net