München/Berlin – Frustrierte Verhandler sehen anders aus. Ein bisschen müde wirken Michael Kellner, Lars Klingbeil und Volker Wissing zwar, als sie vor die Mikrofone treten, aber das ist in diesem Stadium der Koalitionsverhandlungen kaum anders zu erwarten. Es sei eben „ein Kraftakt“, drei so unterschiedliche Partner zu einem Team zu formen, erinnert FDP-Generalsekretär Wissing. Die Verhandler haben sich in der Landesvertretung von Rheinland-Pfalz in Berlin getroffen, und natürlich soll das auch ein Statement sein. Seit 2016 wird das Bundesland von einer Ampelkoalition regiert, die in diesem Jahr in eine zweite Legislatur gestartet ist. Man arbeitet dort reibungslos zusammen.
In diesem Geist soll es in der Berliner Außenstelle weitergehen. Weder Wissing noch sein SPD-Amtskollege Klingbeil oder Grünen-Bundesgeschäftsführer Kellner versäumen, auf den „konstruktiven“ Charakter der Gespräche hinzuweisen. Seit Montag befasst sich die 21-köpfige Hauptverhandlungsgruppe mit den Ergebnissen der 22 Arbeitsgruppen. Der Anfang sei vielversprechend gewesen, heißt es, und so erneuert das Trio die Ankündigung, bereits kommende Woche einen Koalitionsvertrag vorzulegen. Auch die Verteilung der Ministerien soll dann abgeschlossen sein. Olaf Scholz könnte in der zweiten Dezember-Woche zum Kanzler gewählt werden. Das bleibt der Plan.
Mit dieser Vorgabe gingen die Verhandlungen Ende Oktober los. Die Gruppen bekamen den klaren Auftrag, möglichst alle Streitfragen abzuräumen, bevor die Ergebnisse in die Hauptverhandlungsrunde gehen. Das habe auf vielen Gebieten auch „sehr gut geklappt“, lobt Klingbeil nun – aber erwartungsgemäß nicht in allen. Obwohl die möglichen Koalitionspartner die vereinbarte Vertraulichkeit weitgehend gewahrt haben, ist zuletzt doch vor allem der Unmut der Grünen über den bisherigen Verlauf nicht zu überhören gewesen. Während sie selbst gleich mehrere rote Linien der FDP hingenommen haben (Steuererhöhungen, Schuldenbremse, Tempolimit, Pendlerpauschale), warten sie ihrerseits beim Klimaschutz noch darauf, dass Liberale und Sozialdemokraten einen ähnlichen Ehrgeiz an den Tag legen wie sie. Auch bei Finanzen, Außenpolitik und Migration soll es noch geklemmt haben.
Dass Baden-Württembergs grüner Verkehrsminister Winfried Hermann vor ein paar Tagen durch die Blume mit Neuwahlen als Konsequenz aus gescheiterten Verhandlungen drohte, war ein Signal sowohl an die anderen Parteien als auch an die eigene Basis, die zunehmend ungeduldig auf Erfolgsmeldungen wartet. Nun beruhigt Kellner, er sei „mit vielen der erreichten Zwischenstände zufrieden“, wenngleich er einschränkt, dass „noch manches dicke Brett zu bohren“ sei.
Klingbeil beteuert, zuletzt sei in ihm immer mehr die Überzeugung gereift, „dass wir das gut hinbekommen“. Wann genau? „Die Woche hat bekanntlich sieben Tage“, erinnert Kellner. Spätestens nächsten Freitag sollte der Vertrag damit beschlussreif vorliegen. Wochenend-Termine hatten die künftigen Koalitionäre immer ausgeschlossen. MARC BEYER