Das Berliner Machtvakuum

von Redaktion

Ausgerechnet im Corona-Herbst gibt es keine Regierung, die durchgreifen kann – ein Problem für die Ampel?

München – Die schwersten Krisen kommen nicht selten zur ungünstigsten Zeit. Während die vierte Corona-Welle mit Wucht zuschlägt, herrscht in Berlin seit Wochen ein Machtvakuum. Die neue Bundesregierung ist noch nicht im Amt, die alte nur noch mit halbem Atem – geschäftsführend. Da stellt sich automatisch eine Frage: Ist die Politik im kritischen Corona-Herbst überhaupt handlungsfähig?

Das Bild, das sich nach außen hin bietet, lässt bisweilen daran zweifeln. Da sind einerseits gewisse Teile der Union, die genüsslich Attacken auf SPD, Grüne und FDP fahren und so tun, als hätten sie mit dem Regierungsgeschäft in Berlin nichts mehr zu tun. Und da sind andererseits die Ampel-Partner, die sich auch nicht gerade mit Ruhm bekleckern. Sie verhandeln eisern hinter dicht verschlossenen Türen, auch bei der Krisen-Bewältigung hakt es: Weil zu lasch, besserten die Partner zuletzt hastig ihre Corona-Pläne nach. Eine schon kommunizierte Einigung zur Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen stellte sich als falsch heraus. Und der künftige Kanzler Olaf Scholz kommt bei all dem kaum vor.

Für die Ampel, die hoffnungsvoll zusammenfand, ist das eine nicht ganz ungefährliche Situation. Droht ihr nun doch ein Fehlstart?

Die künftigen Partner lassen das nicht gelten. „Wir haben in einer wirklich schwierigen Situation Handlungsfähigkeit gezeigt“, sagt der Münchner Grünen-Abgeordnete Dieter Janecek. Die geschäftsführende Regierung habe es schlicht versäumt, Vorkehrungen zu treffen. Es gebe keinen Krisenstab und keinen Plan für die Auffrischungsimpfungen. Die Ampel sei indes in der Situation, noch nicht exekutiv durchgreifen zu können. Und dann sei da noch das politische Gestichel von Markus Söder. „Es wäre schön, wenn man bei Corona einfach mal zusammenarbeiten könnte.“

Ironisch, aber wahr: Die lautesten Ratschläge zur Pandemie-Bekämpfung kommen derzeit aus dem Corona-Sorgenland Bayern. Söder stichelte wiederholt gegen die Ampel-Pläne, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte, SPD, Grüne und FDP wollten „aus dem Team Vorsicht das Team Kurzsicht machen“. In Ampel-Kreisen runzelt man die Stirn über so viel Besserwisserei. Die CSU wolle bloß politischen Profit machen, heißt es. Jürgen Trittin (Grüne) twitterte schroff: „Angesichts der zweithöchsten Inzidenz und der niedrigen Impfquote in Bayern gilt für die CSU: keine Zähne im Maul, aber La Paloma pfeifen.“

In der Praxis klappt die Zusammenarbeit im Machtvakuum offenbar besser, als es der Ton glauben macht. So formulierte etwa das Gesundheitsministerium von Noch-Minister Jens Spahn (CDU) den Entwurf für das neue Infektionsschutzgesetz – nach den Vorstellungen der Ampel. Dass Spahn nicht jede Einzelheit darin gefällt, ließ er unlängst in einem „Spiegel“-Interview durchblicken. Hilfe verwehrte er dennoch nicht.

Auch aus der FDP gibt es lobende Worte. „Die Zusammenarbeit mit der geschäftsführenden Regierung war teils besser als mit den Ländern“, sagt einer, der nah an den Berliner Vorgängen dran ist. Um sich auch mit den Bundesländern besser zu koordinieren, seien die Ampel-Partner informell an die heutige Ministerpräsidentenkonferenz angedockt. Was genau das heißt, bleibt aber offen.

Der Wunsch nach mehr Präsenz der künftigen Regierung in der jetzigen Krise ist aber auch in den eigenen Reihen präsent. Vor allem Olaf Scholz müsse jetzt mehr Führung an den Tag legen, heißt es. Nach seinem Auftritt im Bundestag vor einer Woche war von ihm nicht mehr viel zu hören. Immerhin, gestern warnte er die Union vor „parteipolitischen Manövern“ und rief zur Geschlossenheit auf. Das Land müsse jetzt zusammenhalten. Wahr ist auch: Die Ampel muss jetzt liefern. MARCUS MÄCKLER

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