SEBASTIAN HORSCH
Heute findet wieder ein Ritual statt, das viele schon hinter uns gehofft hatten. Die Ministerpräsidenten treffen sich mit der Kanzlerin, um einer Corona-Lage Herr zu werden, die trotz wirksamer Vakzine womöglich bedrohlicher ist als je zuvor. Nach zwei Jahren Pandemie reibt sich das Land die Augen: Wie konnte das passieren?
Eine Frage, auf die es mehrere Antworten gibt. Eine davon lautet sicher: Weil die Politik im Wahljahr das Virus aus den Augen verloren hat. Denn überraschend ist an der derzeitigen Lage allenfalls die enorme Dynamik, mit der selbst einige eher vorsichtige Akteure im Gesundheitswesen so nicht gerechnet hatten. Dass allerdings die hohe Zahl ungeimpfter Älterer die Kliniken im Winter vor ein gewaltiges Problem stellen würde, hatten Wissenschaftler schon im Sommer klar aufgezeigt. Das Gleiche gilt für die Notwendigkeit umfassender Booster-Impfungen. All das wollte aber damals doch kaum einer hören, sagt Jens Spahn heute. Für den da noch gewählten und heute immer noch geschäftsführenden Gesundheitsminister eine entlarvende Aussage. Sie zeigt, wie sehr sich die politischen Wahlkämpfer darauf verlassen haben, dass am Ende schon alles gut geht.
Ist es aber nicht. Die Intensivstationen fürchten den Kollaps. Trotzdem werden in Berlin noch juristische Grundsatzdebatten zur epidemischen Lage geführt und der (wohl) künftige Kanzler Olaf Scholz lässt ausrichten, er wolle sich bei der Frage nach einer Impfpflicht in Pflegeheimen nicht drängen lassen. Diese Schwerfälligkeit zeigt, wie wichtig ein koordinierender Krisenstab wäre, der nun den Übergang steuern könnte zwischen der alten und der noch nicht gebildeten neuen Regierung. Dass es ein solches Gremium nicht gibt, passt auch ins Bild.
Sebastian.Horsch@ovb.net