München – Sie ist wieder da – oder besser: immer noch. Angela Merkel sucht am Dienstag die Öffentlichkeit. Die Pandemie-Lage sei dramatisch, sagt die scheidende Kanzlerin in einer Video-Rede beim Deutschen Städtetag. „Die vierte Welle trifft unser Land mit voller Wucht.“ Deshalb seien die Beratungen mit den Ministerpräsidenten an diesem Donnerstag „überfällig“. Sie sei „in tiefer Sorge“ über die Lage in einigen Ländern.
Deutliche Worte. Dabei war es zuvor still geworden um Merkel. Als nur noch geschäftsführende Regierungschefin hatte die CDU-Politikerin sich in den letzten Wochen innenpolitisch zurückgenommen – besonders was die stetig steigenden Corona-Zahlen betraf, war von ihr wenig zu hören. Nun scheint sie das Gefühl zu haben, handeln zu müssen.
Es wäre „eine Katastrophe“, erst dann einzugreifen, wenn die Intensivstationen voll seien, sagt Merkel. Deshalb brauche es – ähnlich wie bereits in Bayern – einen bundesweiten Schwellenwert, ab welcher Klinikbelastung zusätzliche Maßnahmen greifen müssen. Zudem sei eine nationale Kraftanstrengung bei den Booster-Impfungen nötig. In einem mit den unionsgeführten Ländern abgestimmten Beschlussvorschlag aus dem Kanzleramt, der unserer Zeitung vorliegt, heißt es, alle Bürger über 18 Jahre sollen dazu angeschrieben werden. Zudem werden striktere Kontrollen von Zugangsregeln sowie Test- oder Impfnachweisen angekündigt – und der Bußgeldrahmen soll angehoben werden. Auch einen neuen Bonus für Pflegekräfte soll es geben.
Die heutigen Bund-Länder-Beratungen fallen in eine Phase des Umbruchs. Zum einen, weil Merkels Regierung eigentlich schon abgewählt ist, eine neue Koalition aber noch nicht steht. Zum anderen, weil die erneute Zuspitzung das Land in einer Phase trifft, in der man eigentlich schon auf dem Weg aus der Pandemie heraus sein wollte. Das zeigt sich auch darin, dass selbst Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor einem Monat vom Auslaufen der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ sprach, die den Ländern in der Pandemie besondere Freiheiten bei der Verhängung von Maßnahmen gestattet.
Nun ist es wohl die Mehrheit der sich anbahnenden Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP, die diesen Schritt trotz der sich zuspitzenden Lage heute im Bundestag in die Tat umsetzt. Corona-Maßnahmen wie Maskenpflicht und Kontaktbeschränkungen sollen vorerst allerdings auch ohne neuen Landesparlamentsbeschluss weiter möglich sein. Wenn sie auf Basis des jetzigen Rechts verhängt wurden, können sie bis Mitte Dezember weiter gelten. Rein theoretisch könnten einzelne Länder jetzt sogar noch einen Lockdown verhängen, betont der parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer der FDP, Marco Buschmann. „Niemand kann behaupten, dass man als Landesregierung jetzt nicht angemessen handeln könne.“
Aus der Union und den Ländern kommt hingegen Widerstand. „Bei dieser Entwicklung die epidemische Lage auslaufen zu lassen, ist ein Fehler und ein falsches Signal“, sagt Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Er appelliert an Olaf Scholz (SPD), die Ampel zur Umkehr zu bewegen.
Die Ampel-Parteien verständigten sich derweil auch auf eine 3G-Regelung am Arbeitsplatz und im öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Davon sind auch Inlandsflüge erfasst, die Schülerbeförderung und Taxis sind ausgenommen. Die Einhaltung der 3G-Regel soll stichprobenartig kontrolliert werden, etwa im Rahmen von Fahrscheinkontrollen. Beschäftigte sollen außerdem soweit möglich von zu Hause aus arbeiten. mit dpa und afp