Söder verteidigt Wende bei Impfpflicht

von Redaktion

Rückendeckung von Wirtschaft, Ärzten und Grünen – Rechtsexperte: Theoretisch schon ab Januar umsetzbar

München – Es ist eine politische Steilkurve. Keine Impfpflicht, niemals in Bayern, sagte Markus Söder über Monate hinweg immer wieder. Vor zwei Wochen dann: Vielleicht müsse der Ethikrat nochmals über eine Impfpflicht nachdenken. Und: Eine Impfpflicht für die Pflege vielleicht. Oder auch für Fußballer. Und jetzt: Doch eine Impfpflicht für alle, anders komme man aus diesem „Mist Corona“ nicht raus.

Der CSU-Chef hat seine 180-Grad-Wende am Montag untermauert und sich Allianzen gesichert. Gewöhnliche wie ungewöhnliche. Der Parteivorstand gab Rückendeckung, auch bei einer Online-Umfrage auch 80 Prozent von 10 000 CSU-Mitgliedern. Nur dies sei der Weg, um gesellschaftlichen Frieden zu schaffen, sagt er. Eine partielle Impfpflicht sei ungerecht.

Die nächste Allianz-Stufe: Söder hat seinen Koalitionspartner auf seine Seite gezogen. Die Fraktion der Freien Wähler wirbt nun offensiv für eine Impfpflicht. Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger, frischer Impfling, stellt sich zumindest nicht dagegen, will aber geklärt haben, ab welchem Alter, wie viele Dosen und mit welchen Strafen das gelten soll – oder doch nur branchenbezogen.

Auch die Wirtschaft zieht mit. Noch 2021 müsse die Impfpflicht kommen, sagt Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft. Er verweist auf das „dramatische Infektionsgeschehens in weiten Teilen Bayerns“. Auch die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns spricht sich klar dafür aus.

Der jüngste Schritt der Söder-Wende: Mit Winfried Kretschmann schließt sich einer der prominentesten Grünen der Republik an. „Eine Impfpflicht ist kein Verstoß gegen die Freiheitsrechte. Vielmehr ist sie die Voraussetzung dafür, dass wir unsere Freiheit zurückgewinnen“, schreibt Baden-Württembergs Ministerpräsident in einem gemeinsamen „FAZ“-Gastbeitrag mit Söder. Das dürfte Wirkung auf die Ampel-Koalition in Berlin haben, die fachlich zuständig ist.

Juristisch ist die Impfpflicht ein sensibles Thema, ausgeschlossen ist sie aber nicht. „Die Verfassung steht einer Impfpflicht nicht grundsätzlich entgegen“, sagt Josef Franz Lindner, Jura-Professor an der Universität Augsburg. Sofern er „tragfähige Gründe“ dafür habe, könne der Gesetzgeber auch in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit eingreifen. Lindner sieht einen solchen Grund in der Überlastung der Intensivstationen. „Der Staat hat die verfassungsrechtliche Pflicht, dafür zu sorgen, dass die intensivmedizinische Versorgung nicht kollabiert.“ Dies sei gewichtiger als das Recht auf Ablehnung einer Impfung.

Eine Impfpflicht für alle hält der Jurist aber für „verfassungsrechtlich nur schwer begründbar“. Sie würde auch Jüngere einschließen, die in der Regel einen milden Krankheitsverlauf haben. Lindner plädiert stattdessen dafür, den Personenkreis auf jene einzuschränken, die ein gesteigertes Risiko haben, auf der Intensivstation zu landen. Basis könnte eine Datenanalyse der Kliniken sein.

Bei der Umsetzung fordert der Jurist Tempo – nicht erst im Frühjahr debattieren. Bundestag und Bundesrat könnten sich rasch damit beschäftigen, mit dem nötigen Willen „könnte eine Impfpflicht schon im Januar greifen“. Der Staat müsse das kontrollieren und Bußgelder verhängen. Einen Zwang – etwa mit der Polizei zur Impfung – hält Lindner aber für „verfassungsrechtlich nicht zu machen“. C. DEUTSCHLÄNDER / M. MÄCKLER

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