München – In der ersten Reihe steht jetzt ein anderer. Seit Donnerstagabend ist klar: Nicht Annalena Baerbock wird Vizekanzlerin neben Olaf Scholz (SPD), sondern Robert Habeck, ihr Co-Vorsitzender bei den Grünen. Nach der Wahlniederlage der Kanzlerkandidatin, die manchen zwischenzeitlich schon als wahrscheinliche Merkel-Nachfolgerin galt, haben sich die Kräfteverhältnisse in der Partei gedreht. Habeck, der Superminister für Wirtschaft und Klimaschutz, ist jetzt der starke Mann. Schmerzt Baerbock das? „Mein Blick geht nach vorn“, sagt sie.
Tatsächlich ist es ja nicht so, als hielte die Zukunft nichts bereit für sie. Mit 40 Jahren wird Baerbock nun die Außenministerin der neuen Bundesregierung – und damit das neue Gesicht Deutschlands in der Welt.
Eine grüne Außenministerin – da kommen Erinnerungen hoch. Joschka Fischer prägte Anfang des Jahrtausends Weltpolitik, als er den Amerikanern die Unterstützung im Irak-Krieg versagte. Und er spaltete mit dem Kriegseinsatz im Kosovo die Partei. Der letzte grüne Außenminister war ein breitbeiniger Typ, der keinem Konflikt aus dem Weg ging. Schon bevor sie das erste Mal aus einer Regierungsmaschine gestiegen ist, lässt sich sagen: Baerbock ist ganz anders.
„Mit ihrer Persönlichkeit wird sie nach außen ein sehr modernes Deutschland repräsentieren“, sagt die deutsch-amerikanische Politikwissenschaftlerin Cathryn Clüver Ashbrook dem „Tagespiegel“. Baerbock wisse nach dem Wahlkampf genau um ihre Stärken und Schwächen, zudem sei sie eine gute Zuhörerin. Was ihr an Erfahrung fehle, würden die Experten im Auswärtigen Amt ausgleichen, sagt Clüver Ashbrook. Zudem werde Baerbock das Außenministerium so aufstellen, dass es den ganzheitlichen Ansatz des Koalitionsvertrages umsetzen kann.
Das deutet die Grüne bereits an. In einem Interview mit dem „Spiegel“ gibt sie erste Einblicke in ihre Pläne. So soll das Kernthema Klimapolitik fester Bestandteil der künftigen Außenpolitik sein. „Klar ist, dass der 1,5-Grad-Pfad nur zu schaffen ist, wenn europäische und internationale Partner mitziehen. Deshalb brauchen wir eine aktive Klima-Außenpolitik.“
Auch andere Felder werden abgeklopft. Baerbock hält an ihrer Skepsis zur Pipeline Nord Stream 2 fest, die Deutschland mit noch mehr russischem Gas versorgen soll. „Meine Kritik an der Gasleitung ist ja bekannt, aus geostrategischen und energiepolitischen Gründen“, bekräftigt sie.
Im Umgang mit Belarus, das Migranten über die Grenze zu Polen schleust, um Druck auf die EU auszuüben, deutet Baerbock eine harte Linie an. „Man darf sich von Diktatoren nicht erpressen lassen“, betont die künftige Außenministerin. „Deshalb ist es richtig, die Sanktionen zu verschärfen und weiter Druck auf das Lukaschenko-Regime zu machen.“ Gleichzeitig bedeute Diplomatie zwar auch, den Dialog zu suchen. „Wir reden ja auch mit den Taliban, um Menschen in Sicherheit zu bringen.“ Dass Angela Merkel gleich selbst das Gespräch mit Machthaber Alexander Lukaschenko suchte, hält Baerbock allerdings nicht für richtig: „Es hätte nicht die Kanzlerin sein müssen.“
Ziemlich uneindeutig wird es allerdings beim grünen Reizthema Atomwaffen. Einerseits sieht der Koalitionsvertrag vor, dass Deutschland seinen Beitrag zur nuklearen Abschreckungsstrategie der Nato fortführt und weiter Atomwaffen lagert. Auf der anderen Seite will die Ampel-Koalition dem Atomwaffenverbotsvertrag als Beobachter beitreten. Ein Spagat, den die kommende Außenministerin ihrem US-Kollegen wohl erst einmal erklären muss – und auch ihrer Partei.