München – Eine allgemeine Corona-Impfpflicht war in Deutschland lange kein Thema. Schließlich hatte die bisherige Bundesregierung einer solchen Regelung noch im Sommer genauso eine Absage erteilt wie der spätere Wahlsieger Olaf Scholz (SPD). Doch angesichts zu langsamer Impffortschritte ist auch Scholz inzwischen umgeschwenkt. Der künftige Kanzler befürwortet heute eine Impfpflicht, will sie aber nicht per Kabinettsbeschluss auf den Weg bringen – entscheiden soll stattdessen allein der Bundestag.
Für die Abgeordneten wird die anstehende Gewissensentscheidung (Fraktionszwang soll nicht gelten) zum ersten großen Prüfstein in dieser Legislatur. Denn in ihren Wahlkreisen stößt eine Impfpflicht teils auf lautstarken Widerstand. Diese Erfahrung hat auch Alexander Radwan (CSU) gemacht, der die Landkreise Bad Tölz-Wolfratshausen (58 Prozent voll geimpft) und Miesbach (66 Prozent voll geimpft) im Bundestag vertritt. Da er aus Gesprächen weiß, dass auch dort noch immer viele Menschen die Vakzine und vor allem eine Pflicht ablehnen, stellt Radwan sich auf „heftige Diskussionen“ ein. Denn gleichzeitig nehme auch die Zahl derer, die eine Pflicht sogar ausdrücklich fordern, massiv zu.
Er selbst habe seine Meinung geändert, sagt Radwan. Vor einem Jahr sei er einer Impfpflicht auch noch skeptisch gegenübergestanden. „Mittlerweile bin ich dafür. Das muss die letzte Welle sein, wir müssen aus dieser Endlosschleife raus.“ Seine Aufgabe als Politiker sei es, Menschen zusammenzuführen und Kompromisse zu erreichen, sagt Radwan. Doch beim Thema Impfen sei das anders. „Wenn ein Punkt erreicht ist, an dem eine Minderheit das Sagen hat und die Allgemeinheit durch eine Überlastung des Gesundheitssystems und durch massive Freiheitseinschränkungen in Mitleidenschaft zieht, dann hört es auf.“ Kritische Auseinandersetzungen scheue er nicht – auch wenn es am Ende keinen Konsens gibt. „Ich versuche immer zusammenzuführen. Wenn das aber nicht mehr möglich ist, dann braucht es eine Entscheidung“, sagt Radwan.
Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, für die Landkreise Weilheim-Schongau und Garmisch-Partenkirchen im Bundestag, spricht sich gegenüber unserer Zeitung für eine perspektivische Impfpflicht aus. „Wenn ein solches Gesetz ansteht, werde ich dafür stimmen.“ So sieht es auch Max Straubinger (CSU, Wahlkreis Rottal-Inn), der schon früh für eine Impfpflicht warb.
Peter Ramsauer weiß anders als seine Fraktionskollegen noch nicht, wie er sich entscheidet – auch weil er in der juristischen Bewertung noch offene Fragen sieht. Der ehemalige Bundesverkehrsminister vertritt in Berlin die Landkreise Traunstein und Berchtesgadener Land – in beiden sind laut Landratsämtern rund 57 Prozent vollständig geimpft. Ramsauers Mitarbeiterinnen im Wahlkreis erhielten derzeit auch E-Mails, in denen Bürger ankündigten, auf der Straße gegen eine Impfpflicht zu kämpfen. „Ich habe für diese Haltung kein Verständnis“, sagt er. Aber sie sei nun mal ein Teil der Realität.
Auch Daniela Ludwig (CSU) hat sich noch nicht festgelegt. „Ich gehöre nicht zu der Sorte, die bei einer allgemeinen Impfpflicht ‚Hurra‘ schreit“, sagt die Abgeordnete für den Wahlkreis Rosenheim (60 Prozent voll geimpft). „Es ist ein erheblicher Eingriff und es gibt einfach noch viele offene Fragen.“ Zum Beispiel wie eine Impfpflicht rechtlich durchsetzbar sei, für wen und wo sie gelte und wie die Nachweise kontrolliert würden. Mit Blick auf die Reaktionen, die sie auf die bloße Debatte erhalte, blickt sie besorgt auf die Zeit, wenn aus Theorie Praxis werden könnte: „Da kommt was auf uns zu.“
Auch bei der FDP spürt man bereits immensen Druck von beiden Seiten. In der Tonwahl seien die Impfpflicht-Gegner aber deutlich ruppiger, sagt der Münchner Abgeordnete Daniel Föst. „Das geht den ganzen Tag über alle Kanäle – und da sind auch justiziable Formulierungen dabei.“ Ob er für eine Impfpflicht stimmt, will Föst sich bis zuletzt offen lassen. Sie dürfe nur das letzte Mittel sein und er hoffe noch, dass neue Medikamente oder Impfstoffe die Situation zum Besseren wenden. Aber klar sei auch: „Ewig in Corona gefangen zu sein, ist keine Option für die Gesellschaft.“