München – Die Zahlen sind beeindruckend. Das bayerische Landesamt für Gesundheit (LGL) weist am Sonntag auf seiner Internetseite eine Inzidenz der Ungeimpften im Freistaat von 1616 aus – bei den Geimpften liegt der Wert demnach nur bei 103. Die Botschaft hinter der Nummer: Ungeimpfte scheinen rund 15 mal stärker durch Corona bedroht – eindeutiger geht es kaum.
Tatsächlich ist sich die Wissenschaft weitestgehend einig, dass die Impfung vor dem Virus schützt – in gewissem Maße vor Ansteckungen, vor allem aber vor schweren Verläufen. Doch die LGL-Zahlen scheinen in ihrem Ausmaß zu hoch gegriffen. Das legt die Antwort auf eine Anfrage der „Welt“ nahe. Das LGL teilte der Zeitung mit, in der beispielhaft gewählten Woche vor dem 24. November seien insgesamt 81 782 Corona-Fälle gemeldet worden – 9641 Personen davon hatten einen vollständigen Impfschutz, 14 652 keinen. In 57 489 Fällen sei der Impfstatus „unbekannt“ gewesen. Doch statt die Fälle mit unklarem Status herauszurechnen, schrieb die Behörde sie alle den Ungeimpften zu.
Dass die Ungeimpften-Inzidenz statistische Schwächen hat, war schon länger klar und wurde vom LGL auch nicht verheimlicht. Auf Nachfrage unserer Zeitung räumte die Behörde bereits im September „Limitationen“ ein – etwa durch Nachmeldungen oder weil die Anzahl der in den jeweiligen Gruppen durchgeführten Tests nicht bekannt sei. Trotzdem biete die Kennzahl „einen generellen Überblick über das Verhältnis der Betroffenheit zwischen vollständig geimpften und ungeimpften Personen in der Bevölkerung“, betonte damals ein Sprecher.
Dass allerdings – wie in der Beispielwoche – in rund 70 Prozent der Fälle der Impfstatus gar nicht bekannt war, ist neu. Dazu kommt, dass das LGL auch nicht irgendein Institut ist, sondern die zentrale Fachbehörde des Freistaats für Gesundheit. Die Zahlen, die es herausgab, wurden sowohl von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) als auch von seinem Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) aktiv weiterverbreitet.
Auch Martin Hagen hat die Zahlen genutzt – unter anderem in einer Rede im Landtag. „Ich bin fassungslos, dass ich mit falschen Zahlen hantiert habe, und fühle mich als Abgeordneter von der Staatsregierung getäuscht“, sagt der FDP-Fraktionsvorsitzende unserer Zeitung. „Die Ungeimpften-Inzidenz um ein Vielfaches zu übertreiben, um politischen Druck auszuüben, beschädigt das Vertrauen der Bevölkerung massiv.“ Hagen fordert personelle Konsequenzen. „Eine Regierung, der die Bürger nicht trauen können, ist in der Pandemie nicht mehr handlungsfähig“, sagt der FDP-Mann. Die Staatsregierung müsse sich in der kommenden Woche im Landtag öffentlich dazu erklären – auch um das Vertrauen der Bürger wiederherzustellen.
Das LGL verteidigt sich am Sonntag. Der Vorwurf, man habe Daten nicht korrekt veröffentlicht, sei „absolut abwegig“, wird Präsident Walter Jonas in einer Pressemitteilung zitiert. Stets habe man transparent gemacht, auf welcher Grundlage die Werte entstehen. „Wir haben uns entschieden, die Fälle ohne Angaben zum Impfstatus zunächst zu den Ungeimpften zu zählen“, so Jonas. „Denn es hat sich herausgestellt, dass diese – nach später vorliegenden Daten – in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle ungeimpft waren.“ Ob diese vollständigeren Daten ebenfalls den Weg in die Öffentlichkeit fanden, bleibt unklar. Doch ein bloßes Weglassen der fehlenden Werte hätte zu falschen Inzidenzverhältnissen geführt, so Jonas.
Dennoch scheint das LGL in Erwägung zu ziehen, seine Vorgehensweise nun anzupassen. Denn Jonas betont: Es werde sich an der Tatsache nichts ändern, dass die Inzidenz bei den Ungeimpften um ein Vielfaches höher ist als bei den Geimpften – „selbst nach einer Umstellung der Berechnung“.