München – Die Ampel-Regierung ist endlich im Amt. Wir fragten den Politologen Jürgen Falter aus Wiesbaden, wie es jetzt weitergeht.
Was wird die größte Herausforderung für diese neue Regierung?
Die Bewältigung der Corona-Pandemie. Wenn es der Ampel nicht gelingt, eine fünfte oder sechste Welle zu verhindern, wird das die Wirtschaft derart abwürgen, dass das Geld für alle Zukunftsinvestitionen fehlen wird.
Viele sagen, das neue Machtzentrum sind Robert Habeck und Christian Lindner, nicht Scholz. Wie schwer wird es für ihn?
Es wird sicher schwieriger als mit einem einzelnen, kleineren Partner. Aber es ist weit übertrieben, zu sagen, dass sich die Machtkonstellation entscheidend verschoben habe. Wir sind nach wie vor eine Kanzler-Demokratie. Scholz hat die Richtlinien- und Organisationskompetenz. Aber wie jeder Kanzler einer Koalition ist er natürlich auf die Mitarbeit seiner Partner angewiesen.
Die Grünen setzen auf eine wertebasierte Außenpolitik. Da stellt sich bereits jetzt die konkrete Frage nach einem Olympia-Boykott gegenüber China.
Da wird Scholz mit Sicherheit reingrätschen! Eine wertebasierte Außenpolitik ist eine Außenpolitik, die falls zur reinen Lehre erhoben zum Scheitern verurteilt ist.
Haben sich die Grünen mit dem Außenamt und dem Verzicht auf das Verkehrsministerium die falschen Ministerien gewählt?
Ich glaube schon. Für grüne Vorhaben wäre das Verkehrsministerium viel wichtiger gewesen. Die Außen- und Europapolitik wird heute hauptsächlich im Kanzleramt gemacht. Das Auswärtige Amt ist in seiner Bedeutung erheblich geschrumpft.
Im Koalitionsvertrag steht, dass die Bahn Kredite aufnehmen darf, die nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Wie bedrohlich sind solche Haushalts-Tricks für das Image von Christian Lindner?
Er kann formal sein Gesicht wahren – aber faktisch werden trotzdem neue Schulden gemacht. Andere Ampel-Finanzpläne sind nach Ansicht vieler Juristen verfassungswidrig, etwa die im Rahmen der Corona-Hilfsprogramme nicht abgerufenen Mittel für Klimaschutz zu nutzen. Das wäre eine Zweckentfremdung. Das Finanzministerium könnte sich als vergiftetes Geschenk entpuppen.
War es ein Fehler, den Klimaschutz ins Wirtschaftsministerium zu stecken?
Das ist eine Kombination, die sich nicht aufdrängt. Man hätte sich ein Superministerium aus Verkehr, Umwelt, Landwirtschaft und Klima vorstellen können. Im Hause Habeck wird es hingegen immer einen Widerstreit geben zwischen einer zukunftsgerichteten Klimapolitik und der klassischen Wirtschaftspolitik, die am Erhalt von Arbeitsplätzen ausgerichtet ist.
Wie gefährlich ist die sich abzeichnende Rivalität von Habeck und Lindner?
Olaf Scholz wird häufiger zwischen den beiden moderieren müssen – aber das kann er ja. Die Stabilität der Koalition ist so lange nicht gefährdet, wie alle drei weitermachen wollen und sich keine echte Alternative auftut. Die Grünen dazu zu bewegen, zusammen mit der FDP einen Unions-Kanzler zu wählen, gehört in den Bereich der Utopie.
Wird Markus Söder ein Neben-Oppositionsführer sein?
Söder hat nur eine Chance, sich zu profilieren, wenn der CDU-Chef eher jemand von der konfliktvermeidenden Sorte ist. Das heißt, neben einem CDU-Chef Merz wird Söder es schwerer haben als neben einem Helge Braun.
Interview: Klaus Rimpel