München – Ihre Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Auf Twitter zwitscherte die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek gestern, was in der Welt der Wissenschaftler die Spatzen bereits von den Dächern gepfiffen hatten: Gegen die neue Corona-Variante Omikron wirken die gängigen Impfstoffe vergleichsweise schlecht, möglicherweise sogar überhaupt nicht.
Zwar stammen Cieseks erste Daten aus Labortests, sind damit mit Blick auf ihre Aussagekraft „limitiert“, wie der Virologe Klaus Stöhr zu bedenken gibt. Man müsse erst abwarten, ob größere Laborstudien und klinische Befunde die Ergebnisse erhärten. Aber die Hinweise auf eine geringere Schutzwirkung von Biontech, Moderna & Co. vor Omikron sind nicht wegzudiskutieren: Laut Ciesek zeigen die Vakzine nach sechs Monaten keinen Schutz mehr – ganz anders als dies bei der derzeit vorherrschenden Delta-Variante in der Regel der Fall ist. Selbst der Booster wird bei Omikron zum Rohrkrepierer, er schützt nur zu 25 Prozent. Allerdings, so die hessische Wissenschaftlerin, beziehen sich diese Zahlen lediglich auf das Risiko einer Infektion. Ob und wie gut die Vakzine dem schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung vorbeugen, lasse sich derzeit noch nicht beurteilen.
Trotzdem: Wissenschaftlerkollegen werten Cieseks Erkenntnisse als Dämpfer im Kampf gegen Corona. „Die Daten sind ernüchternd bis besorgniserregend – und zwar gleich in zweierlei Hinsicht“, sagte Clemens-M. Wendtner von der München Klinik unserer Zeitung. Zum einen sei die Wirksamkeit der gegenwärtigen Impfstoffe bei Omikron um das 37-Fache reduziert. Zum anderen wirkten die monoklonalen Antikörper-Medikamente, die derzeit in der Frühphase der Infektion eingesetzt werden und einen schweren Verlauf verhindern können, bei Omikron praktisch nicht.
Doch trotz der Omikron-Hiobsbotschaften dürfe die endlich etwas in Fahrt gekommene Impfkampagne jetzt nicht stoppen, betonen mehrere Corona-Spezialisten unisono – schon allein mangels Alternative. „Die gegenwärtigen Impfstoffe werden das Mittel der Wahl in diesem Winter bleiben. Vor Februar oder März wird es keine signifikanten Mengen an aktualisiertem Impfstoff geben“, sagte Impfstoff-Experte Stöhr unserer Zeitung.
Diese Einschätzung bestätigte der Impfstoffhersteller Biontech/Pfizer gestern indirekt selbst. Er kündigte für Ende März einen angepassten Impfstoff an. Auch andere Hersteller wie Moderna dürften schnell nachziehen. „Die mRNA-Impfstoffe können relativ schnell an neue Virusvarianten angepasst werden“, sagt Wendtner. Er rechnet damit, dass „schon in einigen Wochen ein modifizierter Impfstoff gegen Omikron zur Verfügung stehen könnte“.
Bis es soweit ist, müsse das Boostern mit den herkömmlichen Vakzinen beschleunigt werden. „Boostern hilft auch gegen Omikron“, betont Wendtner. Zwei Wochen nach der dritten Impfung betrage der Impfschutz immerhin noch 50 Prozent, nach drei Monaten sinke er auf 25 Prozent. Dazu komme, dass Antikörper nicht das alleinige Kriterium sind, um ein Corona-Drama auf der Intensivstation zu verhindern. „Jeder vierte Geimpfte, der keine neutralisierenden Antikörper mehr aufweist, ist immer noch durch seine T-Zellen vor einem schweren Verlauf geschützt.“
Gegen die aktuell vorherrschende Delta-Variante wirken die Impfstoffe sehr gut – und insbesondere das Boostern. Das belegen neue Studien aus Israel. „Das Risiko einer Infektion reduziert sich über alle Altersgruppen hinweg um das Zehnfache, die Gefahr eines schweren Verlaufs sogar um das 18-Fache. Zudem verringere sich bei den über 60-Jährigen die Todeswahrscheinlichkeit um das 15-Fache“, sagt Infektiologe Spinner und rät: „Man sollte sich fünf bis sechs Monate nach der zweiten Impfung boostern lassen. Am besten noch vor den Feiertagen – auch damit das Fest im Kreise der Liebsten sicherer wird.“