Hermann Otto Solms (81) war eine der wichtigsten Figuren bei der Neuausrichtung der FDP, nachdem die Liberalen 2013 aus dem Bundestag geflogen waren. Eben veröffentlichte Solms seine Erinnerungen „Frei Heraus“ (Langen-Müller Verlag). Ein Gespräch über die neue Ampel-FDP.
Wie groß war Ihre Sorge 2013, dass die FDP dauerhaft in der Versenkung verschwinden könnte?
Die Sorge war riesig groß, und der Zustand der FDP war katastrophal – in wirtschaftlicher, aber auch in programmatischer Hinsicht. Christian Lindner rief mich 2013 noch am Wahlabend an und sagte, dass er sich als FDP-Chef bewerben wolle und ob ich ihn dabei auch personell unterstützen würde. Da ich schon über 70 war, lehnte ich zunächst ab – dass ist jetzt Kärrnerarbeit für Junge, dachte ich. Doch als ich die verheerende finanzielle Lage der FDP sah, glaubte ich, dass ich mit meiner Erfahrung helfen könnte. Heute ist die FDP in so einem guten Zustand wie noch nie!
Aber droht der FDP nicht ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn die Corona-Pandemie neuerliche Lockdowns erfordern sollte?
Corona bedeutet auch für uns einen Lernprozess. Wie alle anderen auch haben wir nicht gesehen, wie dramatisch diese vierte Welle ansteigen würde. Wir haben aber zwei wichtige Grundsätze durchgesetzt: dass Corona-Maßnahmen nicht mehr an den Parlamenten vorbei beschlossen werden dürfen. Und zweitens, dass wir aller Wahrscheinlichkeit nach einen flächendeckenden Lockdown vermeiden können.
2009 entpuppte es sich als Westerwelles Fehler, dass er lieber das Außen- als das Finanzministerium wollte. Wiederholen die Grünen diesen Fehler?
Nein, denn das zentrale Ministerium für die Grünen ist das Haus von Robert Habeck. Das Auswärtige Amt war der Trostpreis für Annalena Baerbock. Der eigentliche Fehler der Grünen war, sie zur Kanzlerkandidatin zu machen. Das war zu hoch gegriffen – der gleiche Fehler, den die FDP 2002 mit einem Kanzlerkandidaten Westerwelle gemacht hatte.
Wie ist das Verhältnis zu Olaf Scholz und der SPD?
Es hat sich im Lauf der Koalitionsverhandlungen als erstaunlich gut herausgestellt. Scholz braucht die FDP, um den Linken in der eigenen Partei Grenzen zu setzen.
Die Ampel vereinbarte finanzpolitisch Fragwürdiges wie den Bahn-Nebenhaushalt. Entpuppt sich das Finanzministerium als vergiftetes Geschenk?
Nein, Lindner muss nur hart bleiben. Für die Vertrauensbildung gegenüber der Bevölkerung ist zentral, dass wir nicht in eine unverantwortliche Schuldenpolitik zurückkehren.
Und wie bewältigen wir die Corona-Schulden?
Es gibt viele Reserven im Haushalt die aktiviert werden müssen, zum Beispiel Abbau von Subventionen, Entbürokratisierung der Verwaltung und Ähnliches. Ich sehe da große Spielräume, aber es erfordert auch mutige Entscheidungen.
2009 galt die FDP wegen der Steuersenkung für Hotels als „Mövenpick-Partei“. Sind die Liberalen jetzt die Porsche-Partei?
Wenn Sie zum Tempolimit nur die Autofahrer und nicht die Gesamtheit der Bevölkerung fragen, bekommen Sie eine satte Mehrheit gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen. Auch für die heutigen Jugendlichen ist der Individualverkehr Freiheit. Man muss ja als Partei auch ein Profil haben!
Überrascht es Sie, dass so viele Junge FDP wählen?
In dem Ausmaß ja, aber ich hatte zuvor schon in meinem Kreisverband gesehen, wie viele Junge zuletzt in die FDP eingetreten sind. Diese acht GroKo-Jahre der Unbeweglichkeit haben den Drang nach Veränderung geweckt – und wer soll das durchsetzen, wenn nicht FDP und Grüne?
Sind diese jungen Liberalen eine Gegenbewegung zu Fridays for Future?
Der Boom von Fridays for Future liegt schon hinter uns. Es gibt zu viele gescheite Jugendliche, die erkennen: Nur mit Ideologie kommen wir da nicht weiter, wir müssen uns an die Realitäten halten. Wenn Ökologie und Ökonomie in Einklang gebracht werden müssen, müssen auch innere Widersprüche bei den Grünen aufgelöst werden. Man kann nicht Stromtrassen von Nord nach Süd fordern, sie aber auf kommunaler Ebene mit Bürgerinitiativen verhindern. Die Amerikaner sagen, die deutsche Energiepolitik ist die dümmste der Welt – für die Politik der letzten acht Jahre trifft das zu. Jetzt müssen wir die Voraussetzungen schaffen, das zu ändern. Damit können wir ein Beispiel für die Welt sein.
Interview: Klaus Rimpel