Berlin – Nach neuen teils gewaltsamen Protesten von Gegnern der Corona-Maßnahmen wächst die Sorge vor einer weiteren Radikalisierung. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) nannte gegenüber „Bild“ den extremistischen Teil der Protestierenden „brandgefährlich, weil sie mittlerweile nicht nur reden, schwätzen, sich gegenseitig hochstacheln, sondern auch zu Taten schreiten“. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) rief dazu auf, „den Radikalen nicht die Straße überlassen“.
Am Wochenende war es in zahlreichen Städten erneut zu Ausschreitungen bei Corona-Protesten gekommen. Bei einem Aufzug von tausend Teilnehmern im thüringischen Greiz wurden Einsatzkräfte angegriffen, 14 Polizisten wurden verletzt. In Gotha kam es aus einem Aufzug von 1500 Menschen heraus zu Angriffen und Flaschenwürfen auf Sicherheitskräfte.
Auch im sächsischen Bennewitz und in Reutlingen in Baden-Württemberg gab es gewaltsame Zwischenfälle. Im bayerischen Schweinfurt wurden bei einer Versammlung von bis zu 2000 Demonstrierenden am Sonntag zehn Menschen festgenommen. Zwei von ihnen versuchten, ein Zivilfahrzeug der Polizei in Brand zu stecken.
Der Protest werde immer lauter, immer heftiger, immer brutaler, sagt auch Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU). Die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit werde für Gewaltexzesse missbraucht. Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) sieht auch einen „gewissen Tourismus“ von offensichtlich gewaltbereiten Demonstranten aus anderen Bundesländern. Der Rechtsstaat müsse hier „klare Kante zeigen, und das tut er auch“, sagte Maier im ZDF.
Der Terrorismusforscher Peter Neumann sieht eine ernste Gefahr durch die Radikalisierung der Proteste. „Was wir vereinzelt bereits gesehen haben, sind komplexere Anschläge auf das RKI zum Beispiel oder auf Kliniken und auf Impfstellen“, sagte Neumann. Deshalb könne er sich vorstellen, „dass wir in einigen Monaten tatsächlich möglicherweise von einer terroristischen Kampagne sprechen müssen“. Auch die Polizeigewerkschaft GdP sieht eine „kleinere Gruppe, die allerdings umso lauter die Straßen bevölkert und militanter wird“. Davon müssten sich Demonstranten abgrenzen.
Für Bayern fordert die Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze, man müsse die Einsatzkonzepte der Polizei dringend anpassen. „Seit Monaten toben sich Corona-Leugnerinnen und -leugner aus. Ständig kommt es zu neuen Grenzüberschreitungen, wie jetzt wieder in Schweinfurt.“ Schulze sieht eine Radikalisierung der Szene. Sie verweist auf aktuelle Zahlen, wonach in den ersten drei Quartalen dieses Jahres 56 Angriffe auf Impfzentren registriert wurden. Die Grünen haben zuletzt in mehreren Anträgen im Landtag gefordert, die Beobachtung der Szene durch Bayerns Sicherheitsbehörden auszubauen. afp/cd