München/Berlin – Ärger kann ganz sanft klingen. Olaf Scholz hört sich wie immer an, als er die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) verkündet. Er äußert Mitgefühl mit jedem, der „mürbe und müde“ sei, und wünscht dem Land am Ende ein frohes Fest. Und selbst als er auf das Robert-Koch-Institut (RKI) angesprochen wird und dessen jüngsten Vorstoß, der in der Bundespolitik gestern enorme Wellen schlug, ist er voller Lob. Nur, dass es anderen gilt.
Der Kanzler dankt ausdrücklich dem Expertenrat, der neuerdings die Regierung in der Corona-Politik unterstützt. Über das RKI äußert er sich auch wohlwollend, doch er bezieht sich auf die Arbeit „in den letzten Jahren, aber auch in den nächsten Jahren“. Was dazwischen liegt, die Wortmeldung des Tages, darüber schweigt Scholz.
Der Druck ist vor dieser MPK immens, die Erwartung an die Politik hoch, das wird schon mittags deutlich. Stunden vor Beginn prescht das RKI mit einer Stellungnahme vor, deren Zeitpunkt ebenso verwundert wie die unmissverständliche Wortwahl. Von „maximalen Kontaktbeschränkungen“ ist da die Rede, die „sofort beginnen“ und zunächst bis Mitte Januar gelten sollten. Es folgt ein ganzer Strauß an rigorosen Maßnahmen: Großveranstaltungen sollen verboten werden, die Nachtgastronomie sei ebenso zu schließen wie Restaurants, die Weihnachtsferien sollen länger dauern und anschließend alle Optionen bis hin zum Distanzunterricht geprüft werden.
In München zeigt sich Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Mittag „höchst irritiert“ von dem Alleingang des RKI und seiner verschärften Einschätzung für die Feiertage. Dabei hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) einen Lockdown vor Weihnachten gerade erst ausgeschlossen. All dies mache einen etwas unkoordinierten Eindruck: „Wenn sich das Ministerium und die wichtigste Behörde widersprechen, hinterlässt das mehr Fragezeichen als Ausrufezeichen.“ Am Abend nennt Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) die Kommunikation „chaotisch“.
Die Reaktion aus der Bundesregierung ist dann aber ein deutliches Ausrufezeichen. Hinter verschlossenen Türen machen sich weder Scholz noch Lauterbach die Mühe, ihren Unmut über den RKI-Alleingang zu verhehlen. Der Kanzler beruft sich ausdrücklich auf die Empfehlungen des Expertenrates, nicht auf das RKI, dessen Präsident Lothar Wieler dem 19-köpfigen Gremium ebenfalls angehört. Lauterbach wiederum beklagt laut Teilnehmern, es gebe bei ihm keine wissenschaftliche Zensur, aber der Vorstoß sei nicht abgestimmt gewesen. Darüber werde noch zu diskutieren sein. Auch er nennt den Expertenrat als maßgebliche Instanz. Eine weitere Meinung sei an diesem Tag nicht nötig.
Die Beschlüsse tragen dann auch nicht die Handschrift des RKI. Das Weihnachtsfest wird nicht angetastet. Winfried Kretschmann (Grüne) und Michael Kretschmer (CDU) lassen zwar ins Protokoll notieren, dass ihnen die Beschlüsse nicht weit genug gehen. Kretschmer hatte laut „Bild“ einen Sofort-Lockdown gefordert. Und Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sowie Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) kündigen an, die Kontaktbeschränkungen für Geimpfte schon ab Heiligabend umzusetzen. Doch Scholz sagt: Schon im vergangenen Jahr hätten sich die Feiertage „nicht als großer Pandemietreiber erwiesen“.
Bevor das politische Berlin für ein paar Tage zur Ruhe kommt, dürften die unterschiedlichen Auffassungen von Lauterbach und Wieler aber noch ein paar Wellen schlagen. Schon heute steht ihre wöchentliche gemeinsame Pressekonferenz an.