Washington – Für Joe Biden, der am 20. Januar 2021 seinen Amtseid ablegte, nähert sich ein schwieriges erstes Jahr dem Ende. Weiter stark steigende Corona-Zahlen, eine Besorgnis erregende Inflationsrate, Widerstand bei wichtigen Initiativen, das Afghanistan-Debakel – das alles wird den US-Präsidenten in das Jahr 2022 begleiten. Gleichzeitig stehen die wichtigen Kongress-Zwischenwahlen an, bei denen sich die Republikaner einen Machtwechsel im Senat und Repräsentantenhaus erhoffen. Bidens Zustimmungsquote liegt derzeit nur zwischen 40 und 43 Prozent. Was sind die wichtigsten Gründe für den Fehlstart des Demokraten?
Bidens Bild in den Medien: Die öffentliche Wahrnehmung ist für jeden US-Präsidenten mehr als die halbe Miete. Der langjährige Senator entwickelte noch nie – auch nicht als Vize unter dem charismastarken Barack Obama – besondere Strahl- und Tatkraft. Als „Macher“ galt er noch nie. Er gewann nach schwachem Start die Vorwahlen seiner Partei nur dank Teilen der afro-amerikanischen Wählerschaft in South Carolina – sie sahen im bis dahin schwächelnden Biden einen „Obama 3.0“ – als Gegenentwurf zum verhassten Donald Trump. Seine Berater halten ihn weiterhin möglichst von Medienvertretern fern. Devise: Schaden vermeiden. Seine wenigen Reden liest er roboterhaft in einem eigens außerhalb des Weißen Hauses gebauten Sendestudio ab.
Planerisches Versagen: Das Abzugsdebakel in Afghanistan zwang selbst Biden-freundliche Sender wie CNN zur Kritik. Niemand konnte die Bilder ignorieren, die in die Geschichte eingehen werden: verzweifelte Menschen, die einem startenden Evakuierungsflugzeug nachrennen. Und die blutverschmierten Stellen an einem Tor, wo ein Bombenanschlag 13 US-Militärangehörige tötete. Biden brach zudem sein Versprechen, bis zum Stichtag 31. August 2021 alle ausreisewilligen Amerikaner aus Afghanistan zu fliegen. Personelle Konsequenzen gab es für das Fiasko, das auch eine viel zu schnelle Aufgabe des Militärflughafens Bagram beinhaltete, im Weißen Haus nicht. Biden hält an Sicherheitsberater Jake Sullivan fest, der als „Architekt“ des Abzugs einen Kardinalfehler beging: Statt Zivilisten stufenweise aus dem Land zu lotsen und erst ganz am Ende die Soldaten heimzuholen, gab es ein Rennen Richtung Ausgang.
Kursstreit der Demokraten: Von Beginn an befand sich Biden zwischen den Fronten seiner Partei. Auf der einen Seite progressive Linke mit teilweise sozialistischen Ideen, die beispielsweise – was Biden ablehnt – landesweit der Polizei massiv Mittel entziehen und die Umverteilung des Wohlstandes vorantreiben wollen. Auf der anderen Seite fiskalisch konservative Volksvertreter wie Senator Joe Manchin aus West Virginia, der mit seinem Widerstand das ehrgeizige Sozial- und Klimaschutzpaket Bidens an den Rand des Abgrunds getrieben hat.
Das Corona-Management: Biden versprach den Bürgern im Sommer: Bis Weihnachten werde das Virus kein Thema mehr sein. Dann kam Omikron, was dem Präsidenten natürlich nicht angelastet werden kann. Doch auf seine Kappe geht vor allem der eklatante Mangel an Selbsttests. Biden hat diesen Fehler eingeräumt und will nun im Januar eine halbe Milliarde eilends bestellter Testkits über eine Webseite abrufbar machen. Unter Biden, der in seiner Bewerbungsrede auf dem Parteitag im Sommer 2020 noch Trump eine Mitschuld an den damals 170 000 Pandemie-Toten gegeben hatte, stieg die Zahl der Opfer auf mittlerweile über 800 000.
Der Alters-Faktor: Biden geht als 79-Jähriger in sein zweites Amtsjahr und will – falls seinen Worten zufolge die Gesundheit mitmacht – 2024 nochmals antreten. Er ist damit bereits der älteste Präsident der US-Geschichte, die Jahre fordern ihren Tribut. Zwar bescheinigten seine Ärzte volle Amtstauglichkeit. Doch Defizite sind nicht zu übersehen – etwa bei spontanen Aussagen, wo er oft abschweift oder sogar persönliche Anekdoten erfindet.