Mit Sicherheit nicht amtsmüde

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

München – Vor dem Minister springt ein Lawinenhund aufgeregt durch den Schnee, die Funkgeräte der Bergretter rauschen. Von hinten knattert im Tiefflug ein Hubschrauber heran, schwankt hart in den ersten Böen, eine Orkanwarnung für die Alpen. Mitten in all diesem Höllenlärm steht Joachim Herrmann ungerührt und gibt ein Interview. In einem Meter Abstand ist kaum noch zu verstehen, was er sagt, es geht um Details und die dritte, siebte, neunte Nachfrage, nur ab und zu dringt sein brummender Bass durch, Wortfetzen. „Wir haben das natürlich im Blick“, sagt er.

Ortstermin am Sudelfeld, der Minister inspiziert eine Übung der Lawinenretter. Wer an diesem Dezembertag den Minister inspiziert, staunt. In größter Ruhe verfolgt Herrmann das Programm, unbeeindruckt von Gewusel und Gewese. Als alle Verschütteten erschnuppert sind, der Hund per Seilwinde in den Helikopter schaukelt und zum nächsten Einsatz fliegt, erreicht Herrmanns Emotion ihren Gipfel: „Brav. Guter Hund“, murmelt er.

So kennen die Bayern ihren Innenminister: eher schwer aus der Ruhe zu bringen. Nicht lustig. Nicht kumpelig. Er verfolgt in der Innenpolitik einen klaren Kurs, seine Polizei greift früher durch, langt härter hin. Den großen Scharfmacher, blaulichtgeil im Katastrophenfall, gibt der 65-Jährige aber nicht. Während anderswo Innenministerien als Schleudersitz gelten, alle naslang ein Skandal, amtiert Herrmann dafür seit ewigen 15 Jahren. Nur ein Innenminister diente Bayern länger als er, das war 1888. Auch ein Nebeneffekt dieser Konstanz ist, dass wenigstens in der Innenpolitik das Vertrauen der meisten Bayern in die CSU bisher nicht erodiert.

Ab Januar richten sich nun bundesweit die Blicke auf den Erlanger. Er übernimmt den Vorsitz der Innenministerkonferenz. Alle 16 Jahre ist Bayern dran mit der „IMK“, zuletzt 2006 mit Günther Beckstein. Nun soll Herrmann alle 16 Kollegen in der Republik koordinieren, einberufen, für sie sprechen. Die Lage ist besonders heikel, mitten in der Pandemie – und in Berlin eine noch unerfahrene Bundesregierung. Mit Nancy Faeser (SPD), Überraschungs-Bundesinnenministerin aus Hessen, hatte Herrmann sein liebes Leben lang nie ein Wort gewechselt. Immerhin: Sie stellte sich per Telefon höflich in seinem Büro vor.

Es wird spannend, wie er das Extra-Amt ausspielt. Neuer schwarzer Schatten-Innenminister für die ganze Republik? Faesers ärgster Gegenspieler? Frei lospoltern?

Der Hubschrauber samt Hund knattert weg, Herrmann tritt den Heimweg vom Sudelfeld an. Auf dem Rücksitz des schweren Dienst-BMW, vorne rechts ist eine dicke Aktentasche angeschnallt, lässt er sich Zeit mit der Antwort. Die 16 Innenminister, allesamt von Union oder SPD, pflegen die heimliche Abmachung, untereinander Form und Stil zu wahren, sich nicht niederzumachen. Herrmann selbst wacht darüber, ruft ab und zu Kollegen diskret zur Ordnung. „Ich bin jetzt nicht der Oppositionsführer“, sagt er. „Aber ich werde weiterhin das vertreten, was ich für die Sicherheit für wichtig halte. Ich werde mich klar zu Wort melden.“

Und das ab dem ersten Tag, denn das Streitpotenzial ist hoch. Bei der Migration zuerst: Herrmann hält den Ampel-Koalitionsvertrag in dieser Frage für gefährlich, sieht starke Pull-Effekte. „Wir werden sehr deutlich machen: Es darf keine Politik der offenen Türe geben. Das überfordert unser Land.“ Er kündigt an, dass Bayern an den Anker-Zentren festhalten wird, deren Aus auch im Koalitionsvertrag verlangt wird – aber Ländersache ist, wie sehr vieles in der Innenpolitik.

Seine IMK-Pläne: So weit es Corona zulässt, will er die Innenminister möglichst oft zusammenholen. Im März nach Brüssel, im Juni Würzburg, Ende November München. Auch eine bessere Koordinierung beim Katastrophenschutz will er durchsetzen.

All das klingt nicht amtsmüde. Denn auch darüber ist zu reden. An manchen Stellen in der CSU wird leise geraunt, wie lange Herrmann noch Lust habe auf all den Zirkus, auf ein Leben unter ständigem Polizeischutz. Ob er noch fit sei, im Juni humpelte er mal an einer Krücke, Hüft-OP. Und 2021 wurde auf Bundesebene wenig von ihm gehört. Eine Kabinettsumbildung, vielleicht im Januar oder Herbst? Ob Söder noch an einem der nur wenigen Minister festhalte, die ihm intern ab und zu widersprechen?

Die Limousine ist schon fast am Odeonsplatz, drei Kreuzungen noch, überwiegend bei Grün. Herrmann antwortet wie immer im freundlichen Brummton, aber in der Sache klar. Nein, mitnichten müde, aber er mag auch nicht über seine Zukunft spekulieren. „Ich führe dieses Amt nach wie vor mit Begeisterung und voller Kraft.“

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