München – Die Zahlen, um die es geht, füllen fast zwei Dutzend Spalten. Die Kolonnen sind nicht leicht zu überblicken, und dass die Deutung je nach Standpunkt unterschiedlich ausfällt, war zu erwarten. Ruhe wird so schnell keine einkehren, was sich auch daran zeigt, dass der erste Politiker bereits Markus Söders Rücktritt fordert.
Am Freitag hat das bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) Rohdaten veröffentlicht, um seine Berechnung der Inzidenzen für Geimpfte und Ungeimpfte zu stützen. Es sieht sich bestätigt in seiner monatelang ausgeübten Praxis, alle Corona-Infizierten, von denen der Impfstatus nicht bekannt war, den Ungeimpften zuzuschlagen. Auf diese Weise stieg das statistische Verhältnis zwischen Erkrankten ohne und mit Immunisierung massiv an. Anfang Dezember sprach Ministerpräsident Söder von einer 16-mal so hohen Inzidenz bei Ungeimpften.
Rückblickend, heißt es aus dem LGL, zeigen die Zahlen aus der Zeit von August bis Dezember, dass die Praxis (auf die man offen hinwies) die Berechnung kaum verfälscht hätte. Nachrechnungen mit vier Wochen Abstand, die den Meldeverzug und eine verspätete Vervollständigung der Daten berücksichtigten, würden das belegen. Für die überwiegende Zahl der nachgemeldeten Fälle sei der Status „Ungeimpft“ nachgetragen worden. Als Beispiel nennt das Amt die letzte August-Woche. Die belegte Sieben-Tage-Inzidenz für Ungeimpfte betrug 57,1, unter Einbeziehung aller Unbekannten stieg sie auf 110,2. Vier Wochen später, als die Datenlage klarer war, betrugen die Werte 90,8 und 110,7.
Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sieht das LGL bestätigt. Es sei „sinnvoll“ gewesen, unklare Fälle als ungeimpft auszuweisen. „Auf diese Weise konnte das LGL erreichen, dass die Zahlen näher an der Realität lagen, als dies bei einem Weglassen der Gruppe der Unbekannten der Fall gewesen wäre.“
Die FDP hingegen moniert seit Wochen, man hätte die Unbekannten im selben Verhältnis wie bei den bekannten Fällen aufteilen müssen. Sie wertet die Daten als Beleg, dass sich auf diese Weise das realistischste Bild ergeben hätte. Die Staatsregierung, klagt Fraktionschef Martin Hagen, habe mit „massiv verzerrten Zahlen“ gearbeitet.
Matthias Fischbach, der Parlamentarische Geschäftsführer, verweist beispielhaft auf die Werte der letzten Novemberwoche. Für beide Gruppen wurden nach vier Wochen mehrere tausend Fälle nachgemeldet: „Wenn man dem LGL gefolgt wäre, hätte der Anstieg bei den Geimpften gar nicht stattfinden dürfen.“
Die FDP-Berechnung ergibt, dass die Inzidenz der Geimpften nur rund viermal niedriger war, nicht 16-mal. „Die Gefahr für Geimpfte wurde um das Vierfache unterschätzt“, sagt Fischbach und beklagt politische Versäumnisse, die daraus resultierten. So hätte deutlich früher eine Booster-Kampagne gestartet werden müssen. Stattdessen seien Geimpfte „in falscher Sicherheit gewogen“ worden.
Aus dem Norden meldet sich prompt Wolfgang Kubicki, der streitbare FDP-Vize, und fordert Söders Rücktritt. So weit geht man in Bayern nicht. Dort verlangt man Aufklärung, wer wann wusste, wie missverständlich die Zahlen waren. Fischbach sagt aber auch: Sollte es eine bewusste Täuschung gegeben haben, „ist ein Rücktritt unumgänglich“. MARC BEYER