Berlin/München – Zuerst wurde sie ausgeschlossen, dann plötzlich von vielen vehement gefordert: Die Entscheidung, ob Deutschland eine allgemeine Corona-Impfpflicht einführt, soll nun der Bundestag treffen. Doch der Prozess könnte sich länger hinziehen als zunächst gedacht. „Die Beratungen im Bundestag sollten wir im ersten Quartal zum Abschluss bringen“, sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese dem „Tagesspiegel“. Mit Blick auf mögliche Verzögerungen sagte er, die Impfpflicht wirke ohnehin nicht kurzfristig, sondern sei „perspektivisch eine Vorsorge für den kommenden Herbst und Winter“.
Vom ursprünglich anvisierten Ziel, bereits im Februar Klarheit zu schaffen, scheinen zumindest Teile der Ampel-Koalition also abgerückt zu sein. Die Frage sei „so relevant und weitgehend“, dass es eine „fundierte und sehr sorgfältige Beratung“ brauche, sagte auch Britta Haßelmann, die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. Die FDP hat es hingegen plötzlich eilig. Bundesjustizminister Marco Buschmann, der vor einigen Wochen noch auf die Bremse gedrückt hatte, forderte nun eine schnelle Entscheidung. Doch auch er betonte gegenüber der „Bild am Sonntag“, dass sich die Abgeordneten genug Zeit für eine sorgfältige Abwägung nehmen müssten.
Die Ampel-Koalition hat sich darauf verständigt, dass es keinen Fraktionszwang im Bundestag geben soll. Abgestimmt werden soll vielmehr über sogenannte Gruppenanträge, hinter denen sich Abgeordnete unabhängig von ihrer Fraktionszugehörigkeit versammeln können. Ende Januar soll es nun zunächst eine umfassende Orientierungsdebatte im Bundestag geben. Da aber wegen Karneval für Februar nur eine Sitzungswoche angesetzt ist, könnte laut „Tagesspiegel“ frühestens in der Woche ab dem 14. März eine Entscheidung fallen. Da der Bundesrat erst wieder am 8. April tagt, könne das Projekt nach jetzigem Zeitplan erst dann final gebilligt werden.
Der designierte CDU-Vorsitzende Friedrich Merz erwartet von der Ampel-Koalition nun einen Zeitplan und konkrete Vorschläge zur Impfpflicht. Die Bundesregierung müsse sagen, „was sie eigentlich gerne möchte, und dass sie das auch dem Bundestag vorträgt. Wenn das Zeit braucht, dann bestätigt das meine persönliche Annahme, dass die Sache offensichtlich komplizierter ist als einfach mal so gesagt“, sagte Merz.
Erneut und konkreter im Gespräch ist zudem eine Impfpflicht für Menschen ab 50 Jahren. Der bayerische FDP-Abgeordnete Andrew Ullmann – Professor für Infektiologie – arbeitet federführend mit anderen Liberalen an einem entsprechenden Gruppenantrag, der eine selektive, altersbezogene Impfpflicht ermöglicht. „Das ist aber bislang nur eine Überlegung“, sagte Ullmann der „Augsburger Allgemeinen“. Der Münchner CSU-Abgeordnete Stephan Pilsinger hatte eine solche Regel bereits im Dezember vorgeschlagen. Gestern sprach sich auch die ehemalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) für ein derartiges Modell aus. Ihr erscheine „am ehesten“ eine Impfpflicht „ab 60 oder 50 als verhältnismäßig“, schrieb Schröder auf Twitter.
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holeteschek (CSU) ist ein grundsätzlicher Befürworter einer Impfpflicht. Doch auch er hält es für richtig, „über die Form der Pflicht zu diskutieren“. Auf Twitter schrieb Holetschek gestern: „Möglich ist eine zeitliche Befristung, z.B. auf 2 Jahre, oder nur für die besonders gefährdeten Altersgruppen.“
Bayerns FDP-Chef Martin Hagen stellte sich ebenfalls hinter eine Altersgrenze. „Mit dem Ziel, eine Überlastung der Krankenhäuser abzuwenden, lässt sich allenfalls eine Impfpflicht ab 50 begründen, denn die Jüngeren spielen auf den Intensivstationen kaum eine Rolle“, teilte er mit. Eine altersabhängige Lösung wäre im Bundestag wohl mehrheitsfähig. In Italien ist die Corona-Impfpflicht für Menschen ab 50 Jahren gerade in Kraft getreten. mit afp und kna