Die Krise der Kirche ist „existenziell“

von Redaktion

VON CLAUDIA MÖLLERS

München/Essen – Wenn in vier Tagen in München das zweite Gutachten über den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche vorgestellt wird, dann wird das auch der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck mit größter Spannung verfolgen. Denn der Missbrauchs-Pfarrer Peter H., den das Gutachten allein auf über 350 Seiten behandeln wird, ist Priester des Ruhrbistums. Er wurde nach Missbrauchsfällen zur Therapie nach München geschickt, dort wieder in der Seelsorge eingesetzt – und richtete weiter Unheil an.

Wer trägt die Verantwortung dafür, dass dieser Mann sich weiter an Kindern vergreifen konnte? Darauf soll das neue Gutachten Antworten geben. Aber zusätzlich geht es auch um die Frage, welche Konsequenzen aus dem Skandal gezogen werden. Bischof Franz-Josef Overbeck hat sich dazu jetzt in ungewöhnlicher Offenheit geäußert. Er sieht die Kirche in einer existenziellen Krise. Es sei nicht zu leugnen, „dass das schreckliche Unheil, das weltweit in unserer Kirche geschehen ist, nach grundsätzlichen Veränderungen verlangt“. Das schreibt der Ruhrbischof in seinem Wort zum neuen Jahr, das am Wochenende in allen Gottesdiensten verlesen wurde und auf der Bistumsseite zu hören ist. Als einen der Hauptgründe für die Krise nennt er geistlichen und sexuellen Missbrauch in der Kirche: „Der Unmut von so vielen Gläubigen, die sich in diesen Jahren entsetzt und enttäuscht von unserer Kirche abwenden, hat Gründe, die wir Bischöfe und alle Verantwortlichen in unserer Kirche sehr ernst nehmen müssen“, mahnt Overbeck: „Es hilft nicht, mit Abwehrreflexen darauf zu reagieren oder gar denjenigen, die sich nach Veränderungen sehnen, böse Absichten zu unterstellen.“

Die Verantwortlichen in der Kirche versuchten schon seit vielen Jahren, Antworten zu suchen, „aber vielleicht sind wir dabei immer noch zu sehr davon geprägt, uns nach einer Kirche der Vergangenheit zurückzusehnen“. Es sei aber an der Zeit, mutig und kreativ Neues auszuprobieren, „über den Raum unserer Kirche in ökumenischer und interreligiöser Verbundenheit hinaus“.

Ein Zusammenbruch der bisherigen Strukturen sei fast unausweichlich. Schon jetzt seien sie wegen der sinkenden Zahl an Priestern und Mitarbeitenden bedroht. Auch die „religiöse Bedürftigkeit“ habe sich stark verändert, deshalb erwarteten viele von der Kirche gar keine Antworten mehr. „Vieles im Raum unserer Kirche trocknet aus oder ist bereits ausgetrocknet“, ergänzte Overbeck. Der Eindruck, dass viele Überzeugungen und Lehren allein deshalb nicht infrage gestellt werden dürfen, weil sie sich auf eine lange Tradition zurückführen ließen, sei dramatisch. Die Kirche sei in einer Krise, „die uns sowohl spirituell als auch strukturell Entscheidungen abverlangen wird, die zu einer echten Neu-Werdung unserer Kirche führen müssen“. Vieles stehe massiv infrage, was bislang nicht hinterfragbar schien, aber „unser Gott ist ein Gott des Weges – und nicht des Stillstands. Seine Wege führen nicht zurück, sondern nach vorn“. Der Weg des Volkes Gottes sei immer schon „ein Weg des Wandels und des Aufbruchs, ein Weg des Loslassens und Abschiednehmens, aber auch ein Weg des Neubeginns“. (mit kna)

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