München – Beginnen wir mit einer Binsenweisheit: Politik ist ein knallhartes Geschäft. Umso bemerkenswerter mutet es deshalb an, wenn eine Partei wegen besonderer Gnadenlosigkeit über sich selbst erschrickt. Andrea Nahles ist so ein Fall. Sie war Generalsekretärin, Ministerin, Partei- und Fraktionsvorsitzende. Aber nach der Europawahl 2019 jagte die SPD sie vom Hof. Nahles, selbst kein Kind von Traurigkeit, trat von den Ämtern zurück, gab sogar ihr Mandat ab – und die SPD plagte fortan ein schlechtes Gewissen. „Für die Wochen im Mai und Juni 2019 kann ich bis heute nur Scham empfinden“, erklärte der heutige SPD-General Kevin Kühnert im Herbst.
Jetzt kehrt Nahles zurück ins Rampenlicht. Im Frühjahr soll sie auf Detlef Scheele an der Spitze der Bundesagentur für Arbeit folgen. Die Nachricht kam am Dienstagabend, am Mittwochmorgen folgte dann die zweite SPD-Personalie: Yasmin Fahimi, 2014 Nachfolgerin von Nahles als Generalsekretärin, soll künftig den Deutschen Gewerkschaftsbund führen.
Zwei Personalien, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben – und doch eine Geschichte erzählen. „In den letzten Jahren haben sich SPD und Gewerkschaften wieder stark angenähert“, sagt der Vizepräsident des Landtags, Markus Rinderspacher (SPD). Man erinnert sich an die tiefen Gräben nach den Schröder-Jahren mit der Agenda 2010. In Bayern beispielsweise haderte der DGB-Chef Fritz Schösser lautstark mit seiner Partei. Andere – wie der spätere Linken-Chef Klaus Ernst aus München – suchten sich eine neue politische Heimat. Inzwischen scheint sich der Wind gedreht zu haben, vielleicht auch, weil die Wahlergebnisse der Linkspartei deutlich zurückgehen. „Beide Seiten haben sich sehr bemüht“, sagt die ehemalige SPD-Bundesvize Natascha Kohnen. Schon unter Sigmar Gabriel und Martin Schulz sei viel passiert.
Zumindest bei Nahles kommt die Rückkehr nicht ganz überraschend. Nach ihrem Abgang hatten die Genossen einen regelrechten „Candy-Storm“ über der Ex-Chefin ausgeschüttet. Sie bekam einen gut dotierten Posten als Präsidentin der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation. Auch über eine Rückkehr ins Kabinett wurde spekuliert, schließlich hat die 51-Jährige ein enges Verhältnis zu Olaf Scholz. Als der heutige Kanzler im Sommer nach ihr gefragt wurde, antwortete er: „Wenn Andrea Nahles für sich irgendwann entscheidet, dass sie wieder in die Politik gehen möchte, dann würden sich viele sehr freuen. Dazu gehöre auch ich.“ In die Politik wollte sie offenkundig nicht – aber für die Arbeitsagentur ist sie als ehemalige Arbeitsministerin natürlich qualifiziert. Die Arbeitnehmervertreter setzten sie durch, obwohl die Arbeitgeber wegen ihrer impulsiven Art große Bedenken hatten.
Auch die Berufung von Yasmin Fahimi (54), lange Gewerkschaftssekretärin bei der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), war kein Selbstläufer. Ein längeres Tauziehen habe es gegeben, bis die Nachfolgerin von DGB-Chef Reiner Hoffmann feststand. Um dieses Tauziehen zu verstehen, müsste man tief in den Befindlichkeiten der Einzelgewerkschaften wühlen. Jedenfalls bot sich irgendwann IG BCE-Chef Michael Vassiliadis für den Posten an – doch eigentlich wollten die Gewerkschaften erstmals eine Frau an ihre Spitze setzen. Nun einigte man sich auf Fahimi, kurioserweise die Lebensgefährtin von Vassiliadis. Auch sie ist gut vernetzt: Knapp zwei Jahre war sie – unter Nahles – beamtete Staatssekretärin im Arbeitsministerium, 2017 zog sie in den Bundestag ein.
Als DGB-Chefin – die Wahl ist im Mai – wird Fahimi künftig den Parteifreunden aus nächster Nähe auf die Finger schauen. In der Vergangenheit sorgte das nicht immer für Freude. Kanzler Gerhard Schröder soll DGB-Boss Michael Sommer bei einer Afrika-Reise in Ghana mal mit den Worten vorgestellt haben: „Das ist der Sommer, den können Sie gern hier behalten.“