SEBASTIAN HORSCH
Es soll eine „Sternstunde der Demokratie“ sein, hieß es vor der gestrigen ersten Impfpflicht-Debatte im Bundestag. Wie schon bei der Organspende-Diskussion 2019 sind die Abgeordneten frei von Fraktionszwängen und stimmen am Ende nur für sich selbst ab. Impfpflicht ab 18, Impfpflicht ab 50, gar keine Impfpflicht – die FDP ist sogar in allen drei Lagern federführend dabei.
Doch obwohl auch gestern gute Reden zu hören waren, sind die Unterschiede zu 2019 groß. Damals ging es auch darum, ein Thema bewusst aufzuheizen. Zu niedrige Zahlen waren Anlass für die Frage, ob nicht jeder automatisch Organspender sein soll, bis er widerspricht. Schon dass darüber gesprochen wurde, half, weil ein unterbelichtetes Problem nach vorne rückte. Es gab zwei Vorschläge, einer initiiert von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). In der Impfpflicht-Frage hingegen mangelt es wahrlich nicht an Hitze. Stattdessen täte etwas mehr Übersichtlichkeit im Vorschlagsdickicht gut.
Bisher gibt es vier Anträge (die AfD plant einen eigenen gegen eine Impfpflicht). Die Union hat zudem einen fünften angekündigt, aber erst nach der Debatte – Inhalt offen. Spahns Nachfolger Karl Lauterbach (SPD) hält sich hingegen aus politischem Kalkül zurück – genau wie Kanzler Olaf Scholz (SPD). Dabei wäre es gerade in einer solch brisanten Frage die Aufgabe der Regierung, eine Richtung vorzugeben, von der sich andere wiederum abgrenzen könnten. Dass diese Klarheit fehlt, macht die zunehmend unüberschaubare Entscheidungsfindung für die Bevölkerung mit jedem weiteren Vorschlag schwerer greifbar – und droht letztlich der Akzeptanz zu schaden.
Sebastian.Horsch@ovb.net