WIE ICH ES SEHE

Ihrer Hühner waren zwei …

von Redaktion

Als wenn ein Huhn über das Blatt gelaufen wäre, so hingekritzelt unleserlich sehen heute manche Formbriefe und Rechnungen aus, die vom Computer geschrieben sind. „Gallina scripsit“ – „ein Huhn hat geschrieben“ –, so hat das der römische Komödiendichter Plautus schon vor 2200 Jahren in einem seiner Lustspiele genannt.

Die geharnischte Rechnung, die mir in dieser Woche vom „Zentrum für Klinische Tiermedizin“ einer deutschen Universitätsklinik ins Haus flatterte, ist dagegen gut leserlich, handelt aber vom Huhn unserer Nachbarin. Sage und schreibe 25 Heilmaßnahmen sind darin aufgeführt, erbracht von der „Tierärztlichen Fakultät“ für „Patient: Haushuhn Lenchen“. Und – kein Wunder, bei so vielen ärztlichen Bemühungen – kostet es schlappe 327,38 Euro, zügig zu bezahlen, bitte.

Erst ein freundlicher Brief unserer Nachbarin gegenüber frischt meine Erinnerung auf. Dort hatte man zwei geliebte Haushühner, von denen eines vom Fuchs geholt wurde. Der ist bei uns aktiv, wie der Hühnerhabicht. Aber der „Angriff“, wie die Nachbarin es nennt, auf Huhn „Lenchen“, der sie fast zur Strecke gebracht hätte, das sei nicht der Habicht, sondern unsere kleine Terrierhündin gewesen. Die hat zwar noch nie zugebissen, aber das sagen schließlich alle Hundebesitzer von ihren Lieblingen. Und zugegeben, ein bisschen nicht ausgelebte Jagdpassion hat sie schon, unsere Pina.

So hatte ich als braves Herrchen vor Wochen der sympathischen Nachbarin zugesagt, die Kosten für Lenchens Heilung zu übernehmen. Meine Hundehaftpflichtversicherung wird mich vermutlich deswegen steinigen, wenn sie die Rechnung der Universitäts-Tierklinik sieht.

Am Ende aber zahle ich für einen guten Zweck. Die Nachbarin verkündet dazu die frohe Botschaft: „Lenchen legt dank der tollen Versorgung in der Vogelklinik sogar wieder ab und zu ein Ei.“ Ein Huhn, das sogar ein Ei legt, das passt. Auch wenn man für 327 Euro viele Eier kaufen könnte. Aber auf dem Hühnergrundstück lebt auch ein kleines Enkelkind. Das hält Lenchen nun wieder glücklich in seinen Armen. Das ist ein noch größeres Glück als alles andere.

Das liebe Federvieh der Hühner begleitet uns durch unser ganzes Leben. Schon als Kinder hörten wir, wie Max und Moritz mit der Witwe Bolte ihren Streich spielten und dazu den unvergesslichen Satz: „Ihrer Hühner waren drei und ein stolzer Hahn dabei.“ Als wir dann anfingen, Latein in der Schule zu lernen, war der erste Übungssatz: „Agricola gallinas numerat“, zu Deutsch: „Der Bauer zählt seine Hühner“. Dieser lateinische Bauer hatte gewiss mehr Hühner als unsere Nachbarn, sonst hätte er sie nicht zählen müssen. Ebenso wird Plautus auf seinem Landgut bei Rom viele Hühner gehabt haben, die mit gekritzelten Spuren ihrer Hühnerbeine in seine Komödie eingegangen sind.

Und dass Huhn und Hund Nachbarn am Ende doch freundlich zusammenbringen, ist unbezahlbar. Das lässt die Rechnung der Tierklinik für den Patienten Lenchen schnell vergessen.

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VON DIRK IPPEN

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