Corona-Kummer im Jahr des Tigers

von Redaktion

VON ANDREAS LANDWEHR

Peking – „Schon das dritte Jahr in Folge können wir nicht nach Hause fahren“, klagt Frau Wang. „Ich weiß ja nicht, ob wir überhaupt zurückkommen können.“ Eigentlich wollte Frau Wang, die in Peking einen Krämerladen betreibt, mit Mann und Tochter zum chinesischen Neujahrsfest in ihre Heimat nicht weit von Wuhan nach Zentralchina reisen. Dort waren Ende 2019 die ersten Infektionen mit dem Coronavirus entdeckt worden – dort nahm die Pandemie ihren Ausgang. „Wir können nur wieder hierbleiben“, sagt Frau Wang resigniert.

Fast noch mehr als die zunehmenden, wenn auch nur begrenzten Corona-Ausbrüche in China sind die strengen Reisebeschränkungen und Ausgangssperren für viele Millionen Menschen das eigentliche Problem. Oft werden sie über Nacht erlassen und gelten wochenlang. Zum wichtigsten Familienfest reisen normalerweise hunderte Millionen in ihre Heimatdörfer – die größte jährliche Völkerwanderung der Welt.

Weil auch Omikron in China angekommen ist, dringen Behörden aber darauf, dass die Menschen auch an diesem Neujahrsfest vorsichtshalber da bleiben, wo sie sind. Dennoch werden sich mehr Chinesen auf den Weg machen als vor einem Jahr. Das Transportministerium rechnet in der fünfwöchigen Saison um die Feiertage mit 1,18 Milliarden Reisen – ein Zuwachs von 35 Prozent gegenüber dem Vorjahr, aber immer noch deutlich weniger als die drei Milliarden 2019 vor der Pandemie.

In der Nacht zum 1. Februar beginnt nach dem Mondkalender das Jahr des Tigers. Es ist das dritte der zwölf Tierkreiszeichen. In diesem Jahr kommt in der chinesischen Astrologie das Element des Wassers hinzu. Der mutige Tiger steht für Energie, Tatendrang und Veränderung. Er soll das Böse fortjagen können, glauben Wahrsager. Auch das Virus fortjagen?

„Es scheint, als wenn der Wassertiger positiver und produktiver sein wird“, glaubt der Hongkonger Wahrsager Raymond Lo. „Wir können erwarten, dass Covid-19 besser unter Kontrolle gebracht wird.“ Die Menschen sehnten sich nach Alltag und normalen Reisen. Er rechnet mit einem friedlichen, erholsamen Jahr.

Die rigorosen Maßnahmen zur Virusprävention in China drücken aber auch auf das Wachstum. Im Januar herrschten zeitweise Ausgangssperren für bis zu 20 Millionen Menschen in drei Metropolen. Fabriken mussten schließen. Lieferketten wurden unterbrochen. Flüge wurden gestrichen. Obwohl nur einige Dutzend Infektionen täglich gemeldet wurden. Die Null-Covid-Politik setzt lokale Funktionäre massiv unter Druck. Sie sind die ersten, die gefeuert werden, wenn es einen Ausbruch gibt.

Im Volk regt sich zunehmend Widerstand gegen allzu übertriebene Maßnahmen. So war die Empörung groß, als der Kreisrat Dong Hong von Dancheng in der Provinz Henan ankündigte, er werde jeden „bösartigen Heimkehrer“, der aus Gebieten mit hohem oder mittlerem Risiko kommt, „in Quarantäne stecken und dann festnehmen“. Selbst Staatsmedien ging das zu weit: Es sei doch nur „menschlich“, zum Neujahrsfest heimkehren zu wollen.

Mit Ausgangssperren, Massentests, Zwangsquarantäne und Kontaktverfolgung hat China das Virus besser als andere Länder im Griff. Das Leben hatte sich weitgehend normalisiert. Aber erst stellte Delta und jetzt Omikron die Null-Toleranz-Politik auf eine harte Probe. Auch in Peking, wo bald die Olympischen Winterspiele beginnen, werden wieder Infektionen gezählt. Als Ursache werden Kühlketten mit importierten Waren verdächtigt, was Experten aber für unwahrscheinlich halten.

Wie die Sommerspiele in Tokio stehen auch die Winterspiele im Schatten der Pandemie. Aus Angst davor, dass das Virus eingeschleppt werden könnte, können sich die Teilnehmer nur in hermetisch abgeriegelten „Blasen“ bewegen. Corona dämpft auch die olympische Stimmung der 20 Millionen Pekinger. „Ich sehe nichts, warum wir begeistert sein sollten“, sagt eine Ärztin. „Ich hatte die Möglichkeit, zur Eröffnungsfeier zu gehen“, meint die 51-Jährige. „Aber ich will nicht hin. Was bringt das?“

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