München – Es gibt nicht viele, die sich von der Zuschreibung „Putin-Versteher“ geschmeichelt fühlen, aber Gerhard Schröder zählt zweifelsohne dazu. Der Altkanzler ist dem russischen Präsidenten seit Langem eng verbunden und erschüttert Berlin immer mal wieder mit steilen Thesen. Dass der 77-Jährige am Wochenende die Ukraine aufforderte, das „Säbelrasseln“ gegenüber Russland zu beenden, überrascht daher überhaupt nicht. Auffällig: Der ganz große Widerspruch aus der SPD blieb aus.
Dass die Kanzlerpartei in Sachen Russland-Politik hin- und hergerissen ist, ist offensichtlich; besonders zeigt sich das in der Debatte um Moskaus Drohgebärden an der ukrainischen Grenze. Mehr Härte? Mehr Entspannung? Die SPD laviert. Parteichef Lars Klingbeil sagte zwar gestern, man sei „völlig klar“, die Eskalation gehe von Russland aus. Dass er am Nachmittag führende Sozialdemokraten zum vertraulichen Treffen bat, zeigt aber: Es gibt offensichtlich Gesprächsbedarf.
Es sei sicher nicht so, dass die SPD voller Putin-Versteher ist, sagt die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch unserer Zeitung. Allerdings gebe es eine irritierende Kakofonie mit Blick auf die Haltung zum Kreml. Das zeigt sich etwa an der Frage, ob Waffenlieferungen an die Ukraine tragbar sind. Kanzler Olaf Scholz hat das ausgeschlossen, zur Freude Schröders und vieler SPDler. Sigmar Gabriel, wie Schröder Ex-Parteivorsitzender und heute Chef der Atlantik-Brücke, forderte indes in der „BamS“ eine „Diskussion ohne Tabus und Denkverbote“ über die Waffen-Frage.
In der Partei haben Schröder und Gabriel nichts mehr zu sagen. Aber sie sind so etwas wie die äußeren Enden zweier Seiten, die bisher nicht zusammengefunden haben. Die einen träumen von Willy Brandts Ostpolitik, fordern mehr Diplomatie und betonen bisweilen, man müsse Russlands Sicherheitsbedenken gegenüber der Nato verstehen. Die andern plädieren vielleicht nicht gerade für Waffen, aber für eine härtere Gangart. Der Riss scheint nicht nur zwischen links und konservativ zu verlaufen, sondern auch zwischen Ost und West. Nur wenige kämpfen jedenfalls noch so verbissen für Nord Stream 2 wie Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig.
Münch hat ein gewisses Verständnis. „Die SPD ist eine Volkspartei mit unterschiedlichen Strömungen, die Ost und West verbindet. Welche Partei tut das sonst noch? Ein Meinungsbildungsprozess gehört dazu.“ Kanzler Scholz balanciert bislang auf einem Mittelweg, ist zwar gegen Waffen, aber im Angriffsfall zaghaft für Sanktionen gegen Nord Stream 2. Der Versuch des inneren Ausgleicht führt bisher dazu, dass Nato-Verbündete an Willen und Verlässlichkeit Berlins zweifeln.
Genau genommen ist das Problem nicht nur eines der SPD, sondern der ganzen Bundesregierung. Auch die Grünen lehnen Waffenlieferungen ab, während die FDP zumindest diskutieren will. Experten wie der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, halten das für höchst problematisch. Beim „Wackeln verschiedener deutscher Politiker“ werde ihm angst und bange, sagte er und sprach von einem Reputationsschaden Berlins in der Welt.
Im Fokus aber steht derzeit die SPD, deren Generalsekretär Kevin Kühnert unlängst in Schröder-Manier erklärte, man solle einen Konflikt in der Ukraine nicht herbeireden. So weit bekannt, nahm Kühnert am gestrigen Treffen nicht teil – genauso wenig wie Kanzler Scholz. Ihm bescheinigt Münch vor allem kommunikative Fehlleistungen in der Ukraine-Frage, Es brauche nun klare Ansagen, Scholz aber lasse zu viele Leerstellen einfach offen.
Ob das gestrige Treffen viel Neues brachte, darf man bezweifeln. Teilnehmer waren neben Klingbeil und Schwesig etwa Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, die sich unlängst für die Lieferung von 5000 Helmen an die Ukraine feierte. Folgt man Klingbeil, ist die SPD ohnehin auf einem guten Weg. Scholz habe gesagt, bei einem russischen Angriff lägen alle Optionen auf dem Tisch. Das sei „unmissverständlich“.
Der Spalt verläuft nicht nur zwischen links und rechts