Washington – Es war eine Kommandoaktion, die in ihrem Ablauf in vielen Punkten der Tötung von Osama Bin Laden in Pakistan im Mai 2011 ähnelte: Hubschrauber, die im Schutz der Nacht nahe einem mehrstöckigen Haus in Idlib (Syrien) landeten, wo ein Top-Terrorist vermutet wurde. Lautsprecherdurchsagen in arabisch, mit denen Nachbarn gewarnt und offenbar Frauen und Kinder mehrfach zum Verlassen des Gebäudes aufgefordert wurden. Und dann Feuergefechte, Explosionen und Tote – darunter nach bisherigen Erkenntnissen auch Minderjährige und Frauen, die mit dem nun eliminierten IS-Anführer Abu Ibrahim al-Haschimi al-Kureischi zusammen lebten.
Man habe diesen Extremisten „vom Schlachtfeld genommen“, so ein kurzes Statement des Weißes Hauses direkt nach der Aktion, bei der nach US-Angaben kein Soldat der Sondereinheit zu Schaden gekommen sei. Ein bei einer Notlandung beschädigter Hubschrauber wurde – und auch dies ist eine verblüffende Parallele zur Bin Laden-Aktion – von US-Truppen vor dem Rückflug in die Luft gesprengt.
Präsident Joe Biden war zum Zeitpunkt der Tötung Bin Ladens der Stellvertreter von Barack Obama. Augenzeugen zufolge war Biden damals extrem skeptisch und hatte Obama noch Minuten vor dem „Go“-Befehl von der Aktion abgeraten. „Joe wollte mehr Zeit und Informationen“, bestätigte der Ex-Präsident dazu in seinen 2020 veröffentlichten Memoiren. Denn Biden habe nicht glauben wollen, dass sich Bin Laden tatsächlich in dem Haus aufhielt, in dem er dann getötet wurde. Auch habe Biden damals große Furcht vor einem Fehlschlag gehabt. Doch solche Bedenken spielten offensichtlich in der Nacht zu Donnerstag keine große Rolle. Eine Bombardierung des Ziels habe man mit Rücksicht auf Zivilisten verworfen, betonte Biden gestern in seiner Ansprache an die Nation, und sich für eine dann „herausfordernde und mit großem Können ausgeführte“ Kommandoaktion von Spezialeinheiten entschieden, die monatelang geplant wurde. „Ich hatte das Pentagon angewiesen, möglichst alle zivilen Verluste zu vermeiden“, sagte der Präsident gestern.
Al-Kureischi galt bis zu seiner Liquidierung als meistgesuchter Terrorist der Welt. Wie auch Osama Bin Laden wählte er bewusst das bei islamischen Extremisten beliebte taktische Mittel, sich mit zahlreichen Familienmitgliedern zu umgeben, um diese als „menschliche Schutzschilde“ und Abschreckung für eine militärische Aktion zu benutzen. Am Ende sprengte sich nach Angaben des US-Präsidenten der Gesuchte „in einem finalen Akt verzweifelter Feigheit“ im dann kollabierenden dritten Stock des Hauses selbst in die Luft – und tötete dabei auch Frauen und Kinder. Insgesamt seien 13 Zivilisten ums Leben gekommen , darunter vier Minderjährige, so die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. „Das Vorgehen hat die Welt zu einem sichereren Ort gemacht“, so der US-Präsident. Al-Kureischi, auf den ein Kopfgeld von zehn Millionen US-Dollar ausgesetzt war und der die weltweiten IS-Aktivitäten koordinierte, hielt sich zum Zeitpunkt seiner Eliminierung nur wenige Kilometer von jenem Ort entfernt auf, wo 2019 US-Spezialeinheiten den damaligen IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi ausgeschaltet hatten.
Für Biden ist die Eliminierung al-Kureishis der erste Erfolg in einer bisher glücklosen außen- und sicherheitspolitischen Agenda, die ihren negativen Höhepunkt im Chaos des schlecht geplanten Afghanistan-Abzugs fand. Dabei waren neben 170 afghanischen Zivilisten auch 13 US-Militärs bei einem Bombenanschlag am Flughafen ums Leben gekommen. Und Biden konnte sein Versprechen, bis zum Abzug der Truppen alle amerikanischen Zivilisten zu evakuieren, nicht einhalten.