München/Berlin – Geht es um die Frage, wer in Deutschland nicht gegen Corona geimpft ist, werden oft Menschen mit Migrationshintergrund genannt. Doch was hat die Herkunft wirklich mit der Impfquote zu tun? In Österreich ist kürzlich eine Statistik erschienen, die die jeweilige Impfrate nach Geburtsländern aufschlüsselt. Darin war die Quote bei Osteuropäern sehr niedrig, bei Türken und Afghanen hingegen sogar höher als bei geborenen Österreichern. Eine Studie für das RKI hat sich nun ebenfalls mit dieser Thematik beschäftigt – allerdings ohne zwischen Herkunftsländern zu unterscheiden.
Wenn man aus den Ergebnissen eine gute Nachricht herausheben will, dann ist es diese: Bei den Ungeimpften mit Migrationshintergrund gibt es noch Potenzial. Ihre durchschnittliche Impfbereitschaft ist den Verfassern zufolge „signifikant höher“ als bei deutschstämmigen Ungeimpften. Es könne also davon ausgegangen werden, „dass unter den Ungeimpften mit Migrationsgeschichte noch ein größerer Anteil bereit ist, sich impfen zu lassen“, sagt die Gesundheitswissenschaftlerin Elisa Wulkotte. Umgekehrt heißt das aber auch: Wenn impfbereite Menschen noch immer ungeimpft sind, wurde offensichtlich etwas versäumt.
Insgesamt zeigt die Studie, dass Menschen mit Migrationshintergrund nach eigenen Angaben eine rund acht Prozent niedrigere Impfquote haben als diejenigen ohne Migrationsgeschichte. Entscheidender als die Herkunft seien dafür aber vor allem sozioökonomische Merkmale wie der Bildungsgrad und das Einkommen sowie das Alter und insbesondere Sprachbarrieren – auch Diskriminierungserfahrungen spielten eine Rolle, sagt Wulkotte.
Was zunächst abstrakt klingt, wird an Beispielen leichter nachvollziehbar. Wie müssen die Diskussionen um verschiedene Impfstoffe (Stichwort Astrazeneca) im vergangenen Jahr gewirkt haben, wenn man nur die Hälfte davon verstehen konnte, fragt Mosjkan Ehrari. Die Journalistin leitet „Handbookgermany“, ein mehrsprachiges Informationsportal für Menschen, die neu in Deutschland sind. In Hotlines oder bei Ärzten hätten diese Leute oft das Gefühl, aufgrund ihrer mangelhaften Sprachkenntnisse abgewimmelt zu werden. Auf Türkisch, Russisch oder Arabisch gebe es auf kommunaler Ebene vielleicht noch ein eingermaßen gutes Informationsangebot – „in anderen Sprachen wird es da schon schwierig“, sagt Erhrari. Staaliche Kampagnen wie „Impfen hilft“ erreichten diese Gruppen oft nicht. Man müsse sich also fragen, woher diese Menschen ihre Informationen erhielten – und auf welche Erzählungen sie dabei treffen. Die Bielefelder Gesundheitswissenschaftlerin Doris Schaeffer fordert deshalb. „Wir müssen viel mehr mehrsprachige Informationen bereitstellen auf Flyern, Plakaten oder in den sozialen Medien.“
Kay Bultmann hat so manche Geschichte gehört. „Sehr abstruse Dinge“, seien darunter gewesen, sagt der Facharzt, der im vergangenen Jahr das Impfzentrum Bremen-Vegesack geleitet hat, und dabei viel mit Menschen zu tun hatte, die nicht gut deutsch sprechen. Oft sei es um Sorgen vor Nebenwirkungen wie Unfruchtbarkeit oder Potenzprobleme gegangen.
Das zeigt auch die RKI-Studie. Bei der Frage, ob die Impfung bei einem Kinderwunsch Risiken aufweise, zeigten sich 58 Prozent der Zuwanderer unsicher, aber nur 51 Prozent der Deutschstämmigen. Vier Prozent der Menschen ohne Migrationsgeschichte gaben die Antwort, dass die Impfung bei Menschen mit Kinderwunsch nicht sicher sei – bei den Zuwanderern waren es elf Prozent. Bultmann sagt, er habe in solchen Fällen versucht, die Menschen dort abzuholen, wo sie standen, und ihnen zu erklären, was es bedeuten müsste, wenn gewisse Theorien wahr wären – „dabei haben sie oft selbst verstanden, dass das nicht sein kann“.