München – Die Pharmaunternehmen Biontech und Pfizer haben in den USA diese Woche eine Notfallzulassung für einen Corona-Impfstoff für Kinder unter fünf Jahren beantragt. Was davon zu halten ist, erklärt Philipp Schoof. Der Kinder- und Jugendarzt sowie Kinderrheumatologe, der in München eine Praxis betreibt, gehört dem Landesvorstand des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) an.
Wie dringend braucht Deutschland diesen Impfstoff?
Ich denke, da kann man sich an die Stiko halten, die den Impfstoff auch für die Fünf- bis Elfjährigen noch nicht allgemein empfiehlt. Wir sehen momentan ganz, ganz viele Covid-Fälle in der Altersklasse unter fünf Jahren und auch darüber. Die Krankheitslast ist dort sehr gering. Der Mehrzahl der Patienten geht es schnell wieder gut, sie wollen schon wieder in den Kindergarten oder in die Schule. Insofern ist für den durchschnittlichen Patienten gar keine Eile geboten, diesen Impfstoff zu verabreichen. Das gilt insbesondere für die Kleinkinder.
Das heißt, die Immunität sollte auf dem natürlichen Wege durch eine Ansteckung erreicht werden?
Ja. Das basiert alles auf dem heutigen Wissensstand. Wir haben jetzt schon zwei Jahre Pandemie und sehen keine Daten, die ein Warnsignal wären, dass wir schwerwiegende Komplikationen bekommen könnten. Das starke inflammatorische Syndrom, auch Pims genannt, kennen wir schon von anderen Virusinfekten. Da heißt es Kawasaki, das ist sehr ähnlich. Es ist eine Autoimmunreaktion nach dem Infekt und kommt sehr selten vor.
Die Stiko empfiehlt bei Kindern ab fünf eine Impfung nur für Risikogruppen. Wie groß ist die bei Kleinkindern?
In aller Regel eher gering. Ein großer Risikofaktor ist die starke Adipositas, die gibt es auch in diesem Alter bedauerlicherweise schon, aber doch sehr selten. Daneben gibt es bestimmte Autoimmunerkrankungen und maligne Erkrankungen. Alles seltene Beschwerden, die nicht für die Masse der Kitakinder gelten.
Wie dringend wünschen Eltern eine Impfung?
Es gibt eine Gruppe, die hat sehr große Angst. Ich habe gerade einen Artikel gelesen, da tauchten gleich die Schlagwörter Pims und Long Covid auf. Das ist genau das Problem. In den Medien taucht es so prominent auf, obwohl es in Wahrheit so selten ist. Ängstliche Eltern fragen auch jetzt schon nach, ob man nicht „off label“ impfen würde. Das kennen wir schon aus der Altersklasse fünf bis elf. Das sind aber maximal zehn Prozent. Man sieht bei den meisten, dass sie die Botschaft hören: Es ist bei Kindern bisher ein relativ harmloser Verlauf.
Wenn irgendwann der Impfstoff kommt, erwarten Sie also keinen Run?
Es gibt immer zwei Runs, das kennen wir schon von den anderen Impfungen. Das eine ist der Urlaubs- oder Freizeitrun. Stichwort Skifahren jetzt im Winter, im Frühjahr werden es die Oster- oder Pfingstferien sein, dann der Sommer. Dann gibt es die ängstliche Klientel, wo unsere Aufgabe sicherlich darin liegt, diese Ängste zu nehmen. Aber es gibt tatsächlich auch Kinder, die Medikamente nehmen, die das Immunsystem schwächen. Denen würde man diese Impfung schon empfehlen.
Kommt es heute schon vor, dass Eltern ihre Kleinkinder „off label“, ohne Zulassung, impfen lassen?
Ich habe das noch nicht gemacht, aber ich weiß, dass es Kollegen gibt. In den sozialen Medien tauschen sich Eltern aus, die zum Teil hunderte Kilometer fahren für eine Impfung. Die haben eine sehr hohe Motivation und wollen auf jeden Fall das Risiko ausschließen, dass es zu irgendeiner Komplikation kommt. Wenn nicht wirklich ernsthafte Gründe vorliegen, halte ich „off label“ aber für einen schlechten Ratschlag.
Birgt eine Corona-Impfung in diesem Alter Risiken?
Im Einzelfall ist das natürlich spekulativ. Aber wir haben jetzt sehr, sehr viele Daten bei Kindern. Insofern kann ich sagen, dass der Impfstoff hervorragend verträglich ist. Normalerweise treten schwerwiegende Nebenwirkungen bei Impfungen relativ schnell auf. Das heißt, wir müssten jetzt schon längst ganz viele Kinder mit irgendeiner Nebenwirkung haben. Da gibt es aber überhaupt keinen Hinweis. Ich glaube deshalb, man kann da die Sorge nehmen.
Interview: Marc Beyer