Söder startet die Corona-Wende

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER, STEFAN REICH U. STEFAN SESSLER

München – Für das Ende einer furchtbaren, tödlichen Zeit gibt es in Bayern ein einzigartiges Symbol: den Tanz der Schäffler. Vor über 500 Jahren tanzten die Fassmacher in München, um das Ende der Pest-Wellen zu feiern. Die Schäffler gibt es noch immer in der Stadt, und seit Monaten – eigentlich: seit zwei Jahren – warten sie auf ihren Einsatz, um diesmal das Ende der Corona-Pandemie zu begehen. Geklappt hat es nie. Jetzt wird mal wieder ein Tanz in Aussicht gestellt.

Im März werde man in Bayern einen „Schäfflertanz-Moment“ erleben, sagt CSU-Generalsekretär Markus Blume am Montag nach einer Sitzung des Parteivorstands. Man kann das diesmal nicht als die übliche Polit-Prosa belächeln, mit der Hoffnungen auf bessere Zeiten überhöht werden. Der Verweis auf die Schäffler ist unmissverständlich: Im Hause Söder kündigt man das Ende der Pandemie an. Die Bayern-Regierung nennt es nicht „freedom day“ so wie die FDP, das Ziel ist aber fast identisch.

Tatsächlich steckt hinter der Schäffler-Rhetorik und den neuerlichen Corona-Lockerungen von Markus Söder mehr als nur eine leichte Kurskorrektur. Es ist ein fundamentaler Wechsel vom einst härtesten Corona-Regler der Republik hin zum ersten Lockerer. Der Ministerpräsident geht damit bewusst auf Distanz zu den roten und grünen Ampel-Koalitionären in Berlin. Während sie eindringlich vor frühen Lockerungen warnen, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sogar mit hunderten zusätzlichen Toten droht, zieht Söder seine Wende in Bayern durch: viel mehr Zuschauer für Sport und Kultur, ein kompletter Wegfall der Sperrstunde.

In zwei Punkten ist das sogar eine 180-Grad-Wende bei den Ungeimpften, ohne das so zu nennen. Er öffnet für sie die Friseure wieder („3G“-Regel). Und er kippt de facto die ab 15. März geltende bundesweite Impfpflicht im Gesundheitswesen. Er kündigt offen an, sie nicht zu vollziehen, und das über Monate.

Dahinter steckt, so heißt es in der CSU, ein Umdenken bei Söder. Er rechnet trotz der aktuell aberwitzig hohen Inzidenzen nicht mehr mit einer Überlastung der Kliniken, jedenfalls in dieser Welle. Deshalb gilt für ihn der Grundsatz: Wer schnell zusperrt, kann auch schnell wieder öffnen. Bayern soll hier der Vorreiter sein. Söder greift damit auch Stimmungen in der coronamüden Bevölkerung auf. Bisher legte er sich primär mit Impfgegnern und mit Betroffenen der Lockdowns an. Nun dürfte sich die Konfliktlinie verlagern, es murren jene, denen die Lockerungen zu schnell gehen, die eine Durchseuchung insbesondere der Schulen beklagen.

Die eigene Partei zieht mit. Morgen will sich Söder einer längeren Aussprache mit der Landtagsfraktion stellen. Viele der Abgeordneten haderten eh mit dem strikten Kurs des Chefs (oder eher mit dem Protest, der sich bei ihnen entlud). Auch beim Koalitionspartner Freie Wähler ist Zuspruch zu erwarten.

Aus der Opposition im Landtag kommt Zustimmung, natürlich nicht uneingeschränkt. Für Martin Hagen, den FDP-Fraktionschef, sind die Lockerungen „gut und überfällig“, sie könnten aber „nur ein erster Schritt sein zurück zur Normalität“. Ludwig Hartmann (Grüne) begrüßt das Ende der Sperrstunde. Er sieht aber eine Gruppe nicht genug im Fokus: „Wenn wir über Lockerungen diskutieren, dann ist es das Mindeste, dass zuerst unsere Kinder und Jugendlichen davon profitieren“, sagt er. Ihnen so viel Alltag zurückzugeben wie möglich, heiße etwa, „Besuchergrenzen in öffentlichen Schwimmbädern komplett zu streichen“.

In der AfD findet man, es brauche weder 2G noch 2G-plus oder 3G, sondern ein Ende aller Regeln inklusive Maskenpflicht. Die SPD wirft Söder mit Blick auf die Impfpflicht im Gesundheitswesen Verantwortungslosigkeit vor. Die Aufhebung der Sperrstunde und mehr Zuschauer für die Kultur habe man selbst in „Verbindung mit Impfen“ schon länger gefordert, so Fraktionschef Florian von Brunn. Aber es sei „gefährlich, jetzt Zweifel am Impfen zu säen und der Impfkampagne zu schaden“.

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