MIKE SCHIER
Er will einfach nicht. Auch in Washington tänzelte Olaf Scholz um die Frage nach Nord Stream 2 wie ein Boxer um den Sandsack. Warum der Kanzler die offensichtliche Wahrheit, dass die Pipeline bei einem russischen Einmarsch tot wäre, nicht einfach ausspricht, bleibt sein Geheimnis. Offenkundig aber ist, dass Scholz damit die Bilanz des ansonsten eigentlich zufriedenstellenden USA-Besuchs selbst trübt. Die Frage legt einen Schatten auf die große Demonstration transatlantischer Einigkeit.
Vielleicht schreckt Scholz ja bei seinem außenpolitischen Herumeiern auch nur vor unbequemen innenpolitischen Wahrheiten zurück. Wie so oft zuletzt war Annalena Baerbock da bei ihrem Kiew-Besuch deutlich klarer: Deutschland sei bei Sanktionen gegen Russland „bereit, einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen“. In der aktuellen Debatte wird gerne vergessen, dass unter den Nato-Partnern besonders die Bundesrepublik von harten Wirtschaftsmaßnahmen betroffen wäre. Das gälte erst recht für ein Pipeline-Aus, das die ohnehin explodierenden Energiepreise weiter in die Höhe treiben dürfte. Darauf haben die Deutschen noch weniger Lust als auf Waffenlieferungen. Ein Kanzler hat so etwas im Blick.
Und trotzdem: Die vergangenen Tage waren gut für die EU, die lange am diplomatischen Katzentisch saß. Ein Deutschland, das außenpolitisch langsam seine Stimme findet – auch wenn noch Luft nach oben ist. Ein französischer Präsident, der hart mit Wladimir Putin verhandelt. Der demonstrative Schulterschluss beider mit Polen gestern Abend in Berlin. Moskau muss erkennen: Der Preis für eine Aggression wird täglich etwas höher.
Mike.Schier@ovb.net