München – Der erste Weg nach dem Besuch bei US-Präsident Joe Biden führt Olaf Scholz vor die internationale Presse. Dort versichert der Bundeskanzler noch die Verlässlichkeit Deutschlands als Bündnispartner – in gewohnter Weise, bisweilen umständlich in der Formulierung, Details umschifft er. Dann macht er sich auf den Weg ins Fernsehstudio von CNN. Und als Moderator Jake Tapper ihm zum Auftakt vorhält, Deutschland gelte in Kiew zunehmend als Verbündeter der Russen, scheint es, als könnte es ein spannendes Gespräch werden.
„Das ist absoluter Unsinn und alle wissen das“, antwortet Scholz ungewöhnlich klar und direkt. Auf Englisch, wie im gesamten Live-Interview. Dann will auch Tapper wissen, warum sein Gast nicht offen sagt, dass die Gaspipeline Nord Stream 2 nicht in Betrieb geht im Fall einer russischen Invasion in der Ukraine. Sofort scheint der Kanzler im gewohnten Modus. Auf eine russische Invasion würde es eine gemeinsame Antwort geben. Ein Angriff hätte einen hohen Preis. Es fallen aber auch Sätze, die der Kanzler vor der deutschen Öffentlichkeit bisher vermeidet.
„Wir sind bereit, Schritte zu unternehmen, die Kosten für uns selbst haben“, sagt er. Auch zu SPD-Altkanzler Gerhard Schröder ist er im USFernsehen klarer als daheim. „Er spricht nicht für die Regierung. Er arbeitet nicht für die Regierung. Er ist nicht die Regierung.“ Er, Scholz, sei jetzt der Kanzler.
Wolfgang Ischinger, ehemals deuscher Botschafter in Washington und Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, kommentiert Scholz’ Auftritte positiv: Er habe sich „in einer außerordentlich schwierigen Lage wacker geschlagen“, sagt Ischinger den Funke-Zeitungen. Deutschland habe unter einer „Glaubwürdigkeitshypothek“ gelitten, Scholz habe „diese Verstimmungen in Washington weitestgehend ausräumen“ können.
Doch restlos überzeugen konnte Scholz nicht in den USA. Der oberste Republikaner im Senat, Mitch McConnell, hatte vor dem Treffen mit Biden gefordert, Deutschland müsse das endgültige Aus für Nord Stream 2 als Reaktion auf eine russische Aggression klar benennen. Die Deutschen „are missing in action“, hatte der demokratische Senator Richard Blumenthal gesagt – der englische militärische Terminus für „Vermisst im Einsatz“. Äußerungen, die einen Meinungswandel zeigten: Fehlanzeige. Am Dienstag meldet sich dann Ex-Präsident Donald Trump zu Wort. Deutschland sei eine Geisel Russlands und werde die Nato auseinanderbrechen. Es ist mit die extremste Reaktion. Aber auch bei amerikanischen und internationalen Medien bleiben Zweifel.
Die „New York Times“ sieht in der Aussage, man sei auch zu schmerzenden Maßnahmen bereit, immerhin einen Wandel in der deutschen Haltung. Der Sender „CNBC“ entdeckt zwischen Biden und Scholz dagegen einen „seltenen öffentlichen Einblick in die Spannungen in einer Beziehung, die ein Grundpfeiler europäischer Sicherheit ist“. Der britische „Telegraph“ urteilt plakativ, die Lücke zwischen Scholz und Biden sei so groß, dass Putin mit einer Panzerdivision durchstoßen könnte. Die „NZZ“ findet, Scholz kehrt mit gestutzten Flügeln und ohne Interpretationsspielraum zurück.
Russland im Ungewissen zu lassen, hatte Scholz wiederholt als Argument dafür genannt, nicht zu eindeutig zu werden. Bidens klare Ansagen und Scholz’ Bekenntnis zur Einigkeit, so die Deutung, hätten diese Taktik ihrer Wirksamkeit beraubt.