München – Der Bonner Virologe und Regierungs-Berater Prof. Hendrik Streeck plädiert für eine möglichst schnelle Beendigung der Corona-Maßnahmen, mehr Lockerheit im Sommer und mehr Schutz im Winter.
Ist es schon an der Zeit, Kinos, Museen oder Restaurants auch wieder für Ungeimpfte zu öffnen?
Wir müssen vorsichtig zur Normalität zurück. Da darf es aus meiner Sicht keinen Unterschied zwischen Geimpften und Ungeimpften mehr geben. Doppelt Geimpfte übertragen das Virus wie Ungeimpfte. Das ändert sich mit der Boosterung ein wenig, aber gesichert nur für ein paar Monate. Daher muss man sich generell die Frage stellen, ob man an den G-Regeln festhalten will. Anlassloses Testen erachte ich daher nicht mehr als sinnvoll. Natürlich sollte man sich an Orten, an denen man vulnerablen Gruppen begegnet wie in Kliniken oder Pflegeeinrichtungen, zuvor testen. Aber letztlich werden wir alle in Kontakt mit dem Virus kommen.
Dürfen wir uns auf einen maskenfreien Sommer freuen?
Ich würde mir wünschen, dass wir im Sommer darauf verzichten. Ich plädiere für einen Sommer-Modus und für einen Winter-Modus. Im Sommer könnten wir daher auf Maßnahmen verzichten, im Herbst und Winter wiederum müssten Maßnahmen sein. Ich vergleiche das gerne mit Sommer- und Winterreifen-Modus, bei dem es selbstverständlich ist, dass man im Winter bei Schnee langsamer fahren muss als im Sommer.
Wie beurteilen Sie die Verkürzung des Genesenen-Status?
Studien zeigen, dass Genesene einen sehr guten Schutz vor einem schweren Verlauf haben. Ich sag es mal so: 26 europäische Länder sehen den Genesenenstatus bei mindestens 6 Monate. Ich glaube nicht, dass sich die Wissenschaftler aller dieser Länder irren. Ich plädiere dafür, Genesene und Geimpfte gleichzusetzen. Wichtig ist doch, dass eine Grundimmunität besteht und da kann man in meinen Augen auch die Antikörperspiegel heranziehen. Medizinisch ließe sich zumindest eine Teilimmunität nachweisen. Im Übrigen: Jeder muss für sich selbst wissen, wie er sich schützen will. Ich selbst gehe lieber mit einer Dreifach-Impfung in eine Infektion.
Sie sind selbst kein Verfechter der Impfpflicht. Warum nicht?
Mit unserer Impfung wird es keine Ausrottung des Virus geschweige denn eine sterile Immunität geben. Das Virus mutiert weiter und wir können weder die Schutzwirkung noch -dauer der Impfungen vorhersagen.
Wenn Sie nur drei Argumente nennen dürften, um Ungeimpfte von einer Impfung zu überzeugen. Welche wären das?
Das stärkste Argument schlechthin ist, dass die Impfung einen vortrefflichen Schutz vor einem schweren Verlauf bietet. Denn auch wenn ein schwerer Verlauf als jüngerer Mensch weniger wahrscheinlich ist, kann es passieren. Lieber gehe ich mit einer kugelsicheren Weste in eine solche Begegnung als ungeschützt. Das Immunsystem wird mit einer Impfung auf diesen Kampf vorbereitet. Zweitens: Die Impfstoffe sind sicher. Das sieht man an den inzwischen über einer Milliarde Menschen, die geimpft wurden. Horror-Visionen wurden nicht wahr. Mein drittes Argument: Auch wenn das eigene Immunsystem stark ist, kann es passieren, dass man durch eine Infektion Langzeitschäden bekommt. Mit einer Impfung wird dieses Risiko minimiert.
Interview: Maximilian Kettenbach